Diese "Ernteabfälle" aus der heimischen Gemüseproduktion würden mengenmäßig ausreichen, um die Städte Graz, Linz und Salzburg ein ganzes Jahr lang gratis zu versorgen, zeigt ein Bericht der ORF-Sendung "Am Schauplatz".
Nach einer Untersuchung des Instituts für Abfallwirtschaft der Wiener Universität für Bodenkultur werden in jeder Supermarktfiliale täglich mindestens 45 Kilo Lebensmittel entsorgt. "Es handelt sich um teils erstklassige Waren, deren Ablaufdaten noch nicht einmal überschritten sind", sagte Studienautorin Felicitas Schneider.
300 Tonnen Lebensmittel als Abfall
Weil das Sortieren und Sammeln der Waren zu teuer ist, wird an eine Weitergabe an Bedürftige erst gar nicht gedacht. Bei mehr als 6.000 Supermarktfilialen in Österreich entsteht so die gigantische Abfallmenge von 300 Tonnen Lebensmitteln täglich. "Wenn man uns anruft, dann schreien wir Halleluja", scherzt Walter Feninger vom Sozialmarkt (SOMA) in St. Pölten.
Mit ihren hauseigenen Lkws können die Mitarbeiter des SOMA fast jede Fuhre übernehmen. Heuer hat man jedoch erst 500 Tonnen Lebensmittel bekommen - das sind nur zwei Prozent dessen, was allein in Niederösterreich jährlich vernichtet wird. "Hoffentlich ändert sich da noch was", so Feninger.
Lebensmittelpreise werden weiter steigen
Auch die anhaltend hohen Preise für Produkte aus der Lebensmittelindustrie tun der Vernichtung keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil: Es werden sogar weitere Preissteigerungen prognostiziert. Hinter vorgehaltener Hand munkelt man, dass die Kosten für Produktion und Vernichtung jener Waren, die nie verkauft wurden, einen Gutteil der Preiserhöhung ausmachen.
Ab in den Osten
Um die teils explodierenden Entsorgungskosten im Rahmen zu halten, versuchen einige erfinderische Konzernchefs, ihre überlagerten Waren auf den Märkten Osteuropas loszuwerden. Weil in der Ukraine und in Russland die Lebensmittelgesetze ein wenig lockerer gehandhabt werden als bei uns, lassen sich mit diesen Waren dort noch Geschäfte machen.
"Keine sehr schöne Entwicklung", wie ein Manager eines Linzer Handelsriesen sagte, der namentlich nicht genannt werden wollte.
Nachklauben auf den Feldern
Ob die Lebensmittelpreise nun hoch sind oder nicht, dem Pensionistenehepaar Lotte und Rudolf Vynhalek aus Strasshof scheint das einerlei. Seit eh und je gehen sie zum Nachklauben auf die Felder im Marcheld und finden im Überfluss, was die riesigen Erntemaschinen liegen lassen.
Über die Preise von Zwiebeln, Karotten und Kartoffeln wissen die Vynhaleks deshalb nicht mehr Bescheid, denn schon lange hat man kein Gemüse mehr im Supermarkt gekauft.
Auf den Feldern gibt es jede Menge Gratisware, frischer als in jedem Geschäft. Und wenn sie nicht zugreifen, wird die Frischware tonnenweise von der nächsten Maschine wieder eingeackert.
Essbares tonnenweise im Mist
Waltraud Schrittwieser, 37, und Gerhard Frey, 50, stöhnen ob der anhaltend hohen Lebensmittelpreise. Als Bedienerin arbeitet Frau Schrittwieser für sieben Euro pro Stunde. Frey verdient sein Geld in einer Würstelbude, meist nachts, "weil man da Zulagen kriegt". Erst unlängst haben die beiden beim Einkaufen Geschäftsleute beobachtet, die tonnenweise Essbares in den Mist kippten.
"Da heißt es zugreifen", war man sich schnell einig. Schon nach wenigen Minuten hielten die beiden mehr frische Zwetschken, Kirschen und Paprika in Händen, als sie eigenhändig tragen konnten - frisch aus dem Mistkübel.
Die "Freeganer" und der Überschuss
Nach Geschäftsschluss "einkaufen" zu gehen kommt wesentlich billiger. Zumindest wenn man so wie Immanuel und Stefan, 19, Studenten aus Wien, abends hinter den Geschäften in der Mülltonne wühlt.
Dort finden sie alles, was sie täglich zum Essen brauchen, im Überfluss. Beide gehören zur Gruppe der "Freeganer", das sind politisch engagierte junge Menschen, die sich aus dem Überschuss der Wohlstandsgesellschaft ernähren. Ausgerüstet mit Gummihandschuhen wühlen sie sich allabendlich durch die Mistkübel der Supermarktkonzerne und fördern dabei frische Waren zutage.
Die ehemalige Waschküche im Keller von Immanuels Mietshaus wurde daher längst zum Warenlager umfunktioniert. Von hier aus verteilt er regelmäßig Frischwaren an Bedürftige und Freunde. Gratiswaren, frisch aus dem Mistkübel, quer durch die Angebotspalette der Supermarktketten.
Eduard Moschitz, ORF-Redaktion "Am Schauplatz"
TV-Hinweis
Die ganze Dokumentation sehen Sie in "Am Schauplatz" am Freitag um 21.20 Uhr in ORF2.
Links:
- Am Schauplatz (tv.ORF.at)
- Freegan
- Institut für Abfallwirtschaft (BOKU Wien)
- Sozialmarkt