Vorerst ÖVP-Doppelspitze

Regierung oder Opposition: ÖVP hält sich vorerst alle Optionen offen.
Die ÖVP hat nach ihren herben Verlusten bei der Nationalratswahl am Montagabend die personellen Weichen an der Parteispitze gestellt.

Nach einer nur rund zwei Stunden dauernden Vorstandssitzung gab Vizekanzler Wilhelm Molterer seinen Rückzug als Parteichef bekannt. Ihm folgt Umweltminister Josef Pröll nach. Der war - trotz aller anfänglichen Dementis der ÖVP über Rochaden an der Parteispitze - als wahrscheinlichster Kandidat gehandelt worden.

Vorerst geschäftsführender Obmann
"Ich habe dem Bundesparteivorstand vorgeschlagen, dass im Sinne des Paragrafen 39, Ziffer 4 (des ÖVP-Statuts, Anm.) Sepp Pröll ab heute als geschäftsführender Bundesparteiobmann die Führungsverantwortung in der ÖVP übernimmt", sagte Molterer bei einem gemeinsamen Auftritt mit Pröll im Anschluss an den Parteivorstand.

Der Führungswechsel solle "möglichst rasch" auf einem Sonderparteitag vollzogen werden. Bis dahin steht Pröll Molterer als geschäftsführender Parteichef zur Seite. Der Vorstand segnete die Entscheidung einstimmig ab.

"In großer Demut"
Es sei eine Entscheidung, die er "in großer Demut von der Partei annehme", sagte Pröll in einer ersten Reaktion. Er betonte, dass er von der Partei "nichts mitbekommen" und freie Hand in seinen Zukunftsentscheidungen für die ÖVP habe.

Koalition: "Keine Festlegung"
Die Frage, ob die ÖVP erneut in eine Große Koalition mit der SPÖ steuert oder aber den Weg in die Opposition einschlägt, blieb damit vorerst offen.

"Es gibt keine Festlegung auf Koalition oder Opposition", sagte Pröll. Molterer unterstrich, dass es im Fall einer Regierungszusammenarbeit auch keine Festlegung auf eine bestimmte Partei gebe.

Pröll: Ball liegt bei Faymann
Von sich aus will Pröll jedenfalls nach eigenen Worten keine Gespräche mit anderen Parteien beginnen. Der Ball liege nun bei SPÖ-Chef Werner Faymann.

In Richtung Sozialdemokraten schoss Pröll einmal prophylaktisch scharf. Äußerungen vom Wahlabend seitens der SPÖ seien nicht unbedingt vertrauensbildend gewesen.

Geht auch Schüssel?
Keine Angaben machte der designierte neue ÖVP-Chef zu Gerüchten, wonach auch Klubchef Wolfgang Schüssel seine Funktion zur Verfügung gestellt haben soll, wie das etwa die "Tiroler Tageszeitung" berichtet hatte.

Unklar blieb vorerst auch, ob Generalsekretär Hannes Missethon im Amt bleibt oder ebenfalls abgelöst wird. Im Gespräch als sein Nachfolger ist ÖAAB-Generalsekretär Werner Amon.

Pröll hielt sich bedeckt
Parteivize Pröll war immer wieder als möglicher Nachfolger Molterers gehandelt worden, hielt sich nach dem Wahlabend allerdings bedeckt.

Nach der "desaströsen Niederlage" der ÖVP seien "natürlich Diskussionen zu führen" und "dann die Schlüsse daraus zu ziehen", sagte er Sonntagabend, während die JVP Niederösterreich mit Molterers eigenem Slogan "Es reicht" bereits dessen Rücktritt verlangte.

"Keine Tabus"
Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll hatte am Sonntagabend "beide" Regierungspartner für "eineinhalb Jahre Streit auf Teufel komm raus" verantwortlich gemacht.

Am Montag hieß es dann aus der ÖVP Niederösterreich relativ deutlich, nach der Wahlschlappe dürfe in der Volkspartei "nichts tabu" sein.

Molterer will Zukunft "genau überlegen"
Molterer hat laut eigenen Angaben noch keine konkreten Zukunftspläne. Folglich ließ er auch die Frage offen, ob er das gewonnene Nationalratsmandat annehmen wird. Er werde sich seine Zukunft "genau überlegen", so der Vizekanzler.

Molterer hob auch hervor, dass er "nach intensiver Diskussion mit mir selbst" von sich aus seinen Rückzug beschlossen habe. Pröll dankte Molterer für das Vertrauen und sprach von einem "außerordentlich überraschenden Tag" für ihn selbst.

Neuwahl nicht bereut
Molterer bekräftigte, dass er es nicht bereue, die vorgezogene Neuwahl angestoßen zu haben. Er sei aber dann offenbar nicht überzeugend genug gewesen, weshalb er nun das Amt zur Verfügung stelle.

Offensichtliche Differenzen
Vor Molterers Rückzug hatten sich in der ÖVP Differenzen über mögliche Personalrochaden deutlich gezeigt.

Schüssel soll als Molterer-Nachfolger Innenministerin Maria Fekter und Wissenschaftsminister Johannes Hahn ins Spiel gebracht haben, was er offiziell allerdings dementieren ließ. Ganz im Gegenteil stellte er sich öffentlich hinter Molterer, wie übrigens auch Wirtschaftsminister Martin Bartenstein.

Der kündigte am Montag auch an, in einer möglichen Regierung unter Faymann nicht mehr als Minister zur Verfügung zu stehen.

Vorerst kein Kommentar aus der SPÖ
Von SPÖ-Chef Faymann gab es am Montag keinen Kommentar zur neuen Lage. Er will sich am Dienstag vor den Gremiensitzungen der Sozialdemokraten in der Sache zu Wort melden.

Links: