Deutsches Trauma als Spielfilm

"Baader Meinhof Komplex" lässt zeitweise Grenze zwischen Spielfilm und Doku verschwimmen.
Kann ein Spielfilm die RAF-Zeit, also eine über zehnjährige Phase komplexer deutscher Nachkriegsgeschichte, mit möglichst vielen Details und Akteuren inklusive historischen Hintergründen und genauen Psychogrammen der Hauptfiguren nachzeichnen?

Genau mit diesem Anspruch haben Produzent Bernd Eichinger und Regisseur Uli Edel versucht, das Standardwerk zur Roten Armee Fraktion, das 600-Seiten-Buch "Der Baader Meinhof Komplex" von Ex-"Spiegel"-Chefredakteur Stefan Aust, in einen Spielfilm umzusetzen. Gelungen ist das allerdings trotz erstklassiger Besetzung und zweieinhalb Stunden Filmlänge nur teilweise.

Aufregung schon im Vorfeld
Vor rund 27 Jahren hatte das Duo Eichinger/Edel mit "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" bereits einmal für Aufsehen gesorgt. Mit seinem Führerbunker-Drama "Der Untergang" bewies Eichinger zuletzt auch, dass deutsche Historienfilme mit finalem Suizid nicht nur ordentlich die öffentliche Debatte anheizen, sondern auch die Kinokassen klingeln lassen.

So war auch beim "Baader Meinhof Komplex" schon im Vorfeld der mediale Wirbel groß: Harsche Kritik und überschwängliches Lob wechselten einander ab. Der Streifen wird auch als deutscher Beitrag ins Oscar-Rennen geschickt. Sogar von neuen Erkenntnissen zu ungelösten RAF-Rätseln war die Rede - einer der schlechteren Marketinggags der Großkampagne für den Film.

Einbruch des Realen
Dass Eichinger und Edel die RAF-Geschichte zu einem einzigen Actionreißer eingedampft hätten, wie manche Kritiker meinen, lässt sich nur anhand einer Szene zu Beginn des Films belegen. Die Darstellung der Ausschreitungen bei der Anti-Schah-Demonstration am 2. Juni 1967 erinnert tatsächlich an einschlägige Genrefilme.

Die Morde und Anschläge der RAF werden blutig und explizit gezeigt. Aber: Im sonntäglichen "Tatort" ist Brutaleres zu sehen. Nur handelt es sich bei den Opfern um reale Personen und keine fiktiven Figuren. Die Kritik von Angehörigen ließ dementsprechend nicht lange auf sich warten.

Tod in Nahaufnahme
Die härteste Szene des Films ist allerdings keine Gewalttat der RAF: Die Zwangsernährung und der langsame Tod des im Hungerstreik befindlichen inhaftierten Terroristen Holger Meins in Großaufnahme erinnern in ihrer Ikonografie stark an die kontroversielle Benetton-Werbung, die einen sterbenden Aids-Patienten zeigte.

Doch der Film ist sichtlich stark bemüht, indifferent zu bleiben, nicht Partei zu ergreifen und die RAF weder zu verteufeln noch zu glorifizieren. Auf jede sympathische Geste der RAF-Protagonisten folgt Kaltblütigkeit, auf sinnlose Gewalt des Terrors folgen Polizeiübergriffe.

Terror und Pop-Ikonen
Dennoch gelingt der Balanceakt nicht immer. Schon aufgrund der filmischen Ästhetik müssen sich die Macher den Vorwurf gefallen lassen, die Terroristen zu Pop-Ikonen zu stilisieren.

Allein die Figur von Bundeskriminalamtschef Horst Herold (Bruno Ganz) darf beide Seiten verstehen - und gleichzeitig als beinahe Einziger dem Zuseher auch die gesellschaftlichen Hintergründe der RAF dozieren.

Authentische Wirkung
Die Stärke des Streifens ist zweifellos seine authentische Wirkung: Durch an faktische Gesprächsaufzeichungen angelehnte Dialoge und den Dreh an Originalschauplätzen, darunter auch das Stuttgarter Gefängnis Stammheim, verschwimmen die Grenzen zwischen Spielfilm und Dokumentation. Edel spickte den Film zudem mit Originalbildern der Zeit, die - wiewohl schon tausendfach gesehen - nicht ihre Wirkung verfehlen.

Und schließlich sind es die Darsteller, die den historischen Personen teilweise nicht nur gespenstisch ähnlich sehen, sondern auch den Film tragen - angesichts des Aufgebots der ersten Reihe deutscher Schauspieler vielleicht keine Überraschung.

Starke Frauen
Dabei dominieren - wie auch in der RAF - die starken Frauen: Johanna Wokalek als kaltblütige Gudrun Ensslin und Martina Gedeck als in den Wahnsinn kippende Intellektuelle Ulrike Meinhof überzeugen.

Daran können auch die schwächeren Szenen des Streifens, etwa der aufgeblasene "Zickenkrieg" in Stammheim, nichts ändern. Moritz Bleibtreu schließlich gibt den schießwütigen wie pubertären Macho-Prolo Andreas Baader.

Kommen und Gehen
An diesen drei Figuren will der Film die Geschichte der RAF erzählen, scheitert dabei aber sowohl an der Historie wie auch an der Form. Protagonisten, allen voran RAF-Mitglieder, kommen und gehen im Film, werden eingeführt oder auch nicht und verschwinden wieder - meistens jedenfalls.

Weder mit der Fülle an historischen Figuren noch mit der Zeitspanne von etlichen Jahren kommt man zurande, kann man wohl auch nicht.

"Fetzendramaturgie" zerfranst
Spätestens mit dem Freitod Meinhofs, deren Figur dem Streifen zumindest ein bisschen erzählerischen Rahmen gibt, zerfranst die "Fetzendramaturgie", wie Eichinger selbst es nennt, völlig: Das Ende ist bekannt, trotzdem werden noch die historischen Fakten, Anschläge und Freipressungsversuche der zweiten Generation der RAF abgehakt. Selbst der Schnelldurchlauf ist lähmend.

Nach geschlagenen 150 Minuten endet der Film mit der "Todesnacht" von Stammheim und der Ermordung des von der RAF gekidnappten deutschen Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer. Dass Eichinger und Edel die späteren Morde der RAF auslassen, ist ein historischer und politischer, aber sicher kein cineastischer Fehler. "Der Baader Meinhof Komplex" startet dieser Tage in den heimischen Kinos.

Christian Körber, ORF.at

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