Das Geflecht der Camorra

Mit schusssicherer Weste durch die Slums von Neapel.
Der Gewalt-Glamour aus "Der Pate" und "Scarface" hat ausgedient: Der neue Mafia-Thriller "Gomorrha" des italienischen Regisseurs Matteo Garrone ist kein privates Psychogramm vor dem Hintergrund des organisierten Verbrechens, sondern ein schonungsloser Einblick in die dunkle, banale, schmutzige Seite der neapolitanischen Camorra.

In dem Film nach dem gleichnamigen Bestseller von Roberto Saviano nimmt Garrone Abschied von romantisierenden Mafia-Mythen. Er verbindet die Schicksale von fünf Menschen aus dem Großraum Neapel, um zu zeigen, was es heißt, im Land der Mafia zu leben.

Karrierewunsch: Pate
Der Traum, eines Tages ein großer, mächtiger Pate zu werden, prägt das ganze Denken und Handeln eines 13-Jährigen, dessen Vater als Mafia-Mitglied inhaftiert worden ist. Als sich der Bub entscheidet, für einen konkurrierenden Clan zu arbeiten, gerät er zwischen die Fronten eines eiskalten Bandenkrieges.

Naivität und Übermut wird auch zwei anderen abenteuerlustigen Jugendlichen zum Verhängnis. Nachdem sie bei einem Raubüberfall Drogen erbeutet haben, erhalten sie zunächst nur eine kleine Verwarnung. Als sie jedoch ein verstecktes Waffenarsenal der Camorra ausheben und dem Clan den Krieg erklären, wird kurzer Prozess mit ihnen gemacht.

In der Betonfalle
Ungeschönt filmt Garrone triste Wohnsiedlungen aus der Gegend um Neapel ab. Wer hier wohnt, sitzt nicht nur zwischen meterhohen Betonmauern und kleinen, gefängnisartigen Parzellen in der Falle, sondern muss sich auch den Strukturen und der Macht der Mafia unterordnen.

Sogar ein Camorra-Buchhalter zieht an diesen sozialen Brennpunkten mit einem mulmigen Gefühl im Bauch von Haus zu Haus, wenn er den Angehörigen der toten oder inhaftierten Mitglieder des Clans ein Gehalt auszahlt. Am Ende traut er sich nicht mehr ohne schusssichere Weste in die Slums.

Eigentlich eine Spieldoku
Garrone knüpft mit seinem nüchternen Stil an den italienischen Neorealismus an, aber auch ans engagierte Politkino der 70er etwa von Costa-Gavras und ans verschachtelte US-Aufdeckungskino a la "Traffic".

"Gomorrha" ist ein knallharter Thriller, bei dem man in jeder Sekunde spürt, dass er nur aus formalen Gründen als Spielfilm und nicht als Dokumentation kategorisiert ist.

Zwischen Roman und Reportage
Das ist ganz im Sinne Savianos, des inzwischen international bekannten Autors der gleichnamigen Buchvorlage. Sein Text ist eine akribisch recherchierte Reportage über die Macht und die inneren Strukturen der Camorra, die gemischt mit romanhaften Elementen zu einer Collage des Schreckens wird.

Saviano hat dafür unter anderem undercover im Hafen von Neapel für die Camorra gearbeitet, mit Ermittlern gesprochen und Protokolle aus Prozessen und Vernehmungen studiert. Die Machenschaften, die er beschreibt, reichen vom internationalen Drogenhandel über Giftmüllverschiebungen bis hin zur Produktion von Designermode.

An geheimen Orten
Seitdem "Gomorrha", das Buch, 2006 veröffentlicht wurde, steht der engagierte Arztsohn unter Personenschutz und muss seinen Aufenthaltsort geheim halten.

An den Arbeitssitzungen im Vorfeld des Filmdrehs konnte Saviano nur in Begleitung von Leibwächtern teilnehmen, ebenso an der Filmpräsentation in Cannes.

Unter Beobachtung
Die Filmaufnahmen liefen nach Angaben der Produzenten immerhin mit dem stillen Einverständnis der Camorra. Sie schickte stets Beobachter zum Set, verlangte aber keine Schutzgelder und bedrohte die Filmcrew nicht.

In Italien wurde "Gomorrha" ein Bestseller, auch die Kinoversion spielte dort schon fast zehn Millionen Euro ein. Bei den Filmfestspielen in Cannes wurde Garrone für den schonungslosen Thriller heuer mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet.

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