Von Afrika nach Europa

In Berlin ist die Ausstellung "In der Wüste der Moderne" eröffnet worden.
Es ist ein gigantischer Spielplatz für Architekten und Stadtplaner gewesen: In Nordafrika entstanden in den 50er und 60er Jahren unter französischer Kolonialherrschaft große Wohnsiedlungen und öffentliche Gebäude, die wenig später an den Rändern der europäischen Großstädte nachgebaut wurden.

"Testfall für die Stadt von morgen"
Die Ausstellung "In der Wüste der Moderne" im Berliner Haus der Kulturen der Welt zeichnet jetzt die Entstehung dieser architektonischen Pionierprojekte etwa in Casablanca und Tunis und den Export des Wohnkonzepts nach Europa nach.

"Das koloniale Nordafrika war Laboratorium der modernen Architektur und Stadtplanung", sagt die Kuratorin Marion von Osten. Als "Testfall für die Stadt von morgen" galt die marokkanische Stadt Casablanca.

"Senkrechte Stadt"
Die französische Regierung hatte die Schweizer Architekten Andre Studer und Jean Hentsch Anfang der 50er Jahre mit dem Projekt beauftragt.

Zusammen mit Schülern von Architekturmeister Le Corbusier entwickelten sie die "Cite verticale" Sidi Othman. Aus acht mal acht Meter großen Wohneinheiten sollte eine "senkrechte Stadt" entstehen, die sie auf den Wüstensand am Rande Casablancas setzen sollten.

Massives Wachstum
Die Zeit drängte: Marokko erlebte gerade den Boom der Industrialisierung - Zehntausende strömten vom armen Inland in die Städte auf der Suche nach Arbeit. Von 1936 bis 1952 verdoppelte sich die Einwohnerzahl Casablancas. Die Wohnprojekte sollten den Neuankömmlingen eine erste Behausung bieten - und vor dem Hintergrund sozialer Unruhen und der Unabhängigkeitskämpfe streng von der französischen Bevölkerung trennen.

Die Architekten zeichneten Pyramiden, Kästen und Zickzack-Bauten, wie sie später auch in Europa kopiert wurden. Ähnliche Projekte entstanden auch in Algier, Oran und Tunis und dienten als Blaupause für den sozialen Wohnungsbau in Europa.

Architekten hatten freies Spiel
Schon in den 40er Jahren hatte Le Corbusier mit Unterstützung des französischen Vichy-Regimes den "Plan Obus" für den Bau von Satellitenstädten in Algier konzipiert.

Die Architekten waren augenscheinlich begeistert von der Möglichkeit, in einem aus ihrer Sicht leeren Territorium ihre Pläne umsetzen zu können - ähnlich wie bei Brasilia, der Planhauptstadt im brasilianischen Niemandsland.

Erste Tiefgarage
Für Französisch-Nordafrika wurden so die autogerechte Stadt, die erste Tiefgarage und das größte Schwimmbad im amerikanischen Stil geplant - und später in den Vororten von Paris, Brüssel und Berlin nachgeahmt.

Zwar hatten die europäischen Architekten sich bei ihren Entwürfen von Lebensgewohnheiten der Menschen Nordafrikas anleiten lassen. Doch bald wurden die Anlagen von ihren Bewohnern verändert und ihrem Alltagsleben angepasst.

"Ohne Kolonialismus undenkbar"
Für die Ausstellungsmacher ist klar: "Die europäische Moderne ist ohne Kolonialismus nicht zu denken." Ebenso wenig war damals an eine eigenständige lokale Architektursprache zu denken - gebaut wurde in Nordafrika ausschließlich von Europäern.

In den Nebenprojekten zur Ausstellung - Filmreihen und Konferenzen - wird das wohl ebenso thematisiert werden wie die zweifelhafte Pointe: Als viele Afrikaner nach der Unabhängigkeit als Migranten an die Ränder europäischer Städte auswanderten, kamen sie wieder in Wohnkomplexen unter, die sie schon aus ihrer Heimat kannten.

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