Knackpunkt Handel
Skeptisch zeigte sich etwa der Steuerexperte Karl Bruckner. "Ich glaube, dass die soziale Treffsicherheit nicht sehr groß ist. Man hat enorme Mitnahmeeffekte", gab der Experte der BDO Auxilia Treuhand am Dienstag im Gespräch mit der APA zu bedenken.
Sollte die MwSt auf Lebensmittel tatsächlich gesenkt werden, dann sollten parallel dazu Maßnahmen der Preisbeobachtung und Preiskontrolle gesetzt werden. Dadurch müsse sichergestellt werden, dass die Steuersenkung wirklich vom Handel weitergegeben werde, forderte Bruckner.
WIFO: Nur fünf Euro bei 100-Euro-Einkauf
Die Halbierung des Mehrwertsteuersatzes auf Lebensmittel ist auch aus Sicht des Experten des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO), Josef Baumgartner, keine sozial sehr treffsichere Maßnahme.
Bei einem 100-Euro-Einkauf von Lebensmitteln würde man sich dadurch fünf Euro ersparen - mehr dazu in oe1.ORF.at.
Studie: Direktzahlungen effektiver
Direktzahlungen für Bezieher unterer Einkommen wären sozial treffsicherer und wirkungsvoller als eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel von zehn auf fünf Prozent - zu diese Schluss kommt auch eine Studie von Friedrich Schneider und seinem Assistenten Michael Holzberger von der Johannes-Kepler-Universität in Linz, die am Dienstag veröffentlicht wurde.
MwSt-Senkung kostet rund 920 Mio. Euro
Demnach würde eine Halbierung des MwSt-Satzes auf Lebensmittel (ohne Restaurants) 750 Mio. Euro kosten. Da sich Restaurantumsätze (170 Mio. Euro) aber nur schwer vom Straßenverkauf von Lebensmitteln abgrenzen lassen, würde eine Absenkung auf Lebensmittel- und Restaurantumsätze rund 920 Mio. Euro kosten.
Eine generelle Absenkung (alle reduzierten Güter und Dienstleistungen) des derzeit zehnprozentigen Steuersatzes auf fünf Prozent würde zu Kosten von 1,8 Mrd. Euro führen.
Mehr Kaufkraft für untere Einkommen
In der Studie werden die Auswirkungen einer Direktzahlung auf untere Einkommen als Kompensation für gestiegene Inflation berechnet.
Verteilt man das Volumen der MwSt-Senkung auf Lebensmittel (ohne Restaurants), also 750 Mio. Euro auf das sozial schwächste Viertel der österreichischen Haushaltseinkommen, so ergibt sich eine jährliche Gutschrift pro Haushalt in Höhe von 855,2 Euro.
MwSt-Senkung: Ersparnis steigt mit Ausgaben
Dagegen steht eine "sozial nicht treffsichere" MwSt-Senkung auf Lebensmittel: Von den 3,5 Mio. Haushalten gibt das unterste Zehntel für Ernährung (inkl. alkoholfreie Getränke) 22,7 Prozent seiner Haushaltsausgaben in Höhe von 682 Euro pro Monat aus (= ca. 155 Euro im Monat bzw. 1.860 Euro im Jahr), das oberste Zehntel 8,4 Prozent seiner Haushaltsausgaben in Höhe von 6.190 Euro pro Monat (= ca. 520 Euro pro Monat bzw. 6.240 Euro pro Jahr).
Ein repräsentativer Haushalt tätigt Ausgaben für Lebensmittel in Höhe von 224 Euro pro Monat bzw. ca. 2.690 Euro pro Jahr. Das obere Zehntel erhält somit eine jährliche Ersparnis in Höhe von 312 Euro, ein repräsentativer Haushalt 135 Euro und das untere Zehntel nur noch 93 Euro.
"Positive Folgen für Arbeitsmarkt"
In der Studie wird auch der Beschäftigungseffekt errechnet, den Direktzahlungen in Höhe von 750 Mio. Euro - also die Kosten einer MwSt-Halbierung für Lebensmittel - an das unterste Einkommensviertel ergeben würden. Dabei wird davon ausgegangen, dass zwischen 70 und 80 Prozent wiederum in den heimischen Konsum fließen.
Positive Folgen sehen die Experten für den Arbeitsmarkt: Der Effekt auf die heimische Beschäftigung betrage bis zu 5.740 zusätzlich geschaffene bzw. gesicherte Arbeitsplätze.
Nationalbank gegen Steuersenkung
Nichts hält auch die Oesterreichische Nationalbank (OeNB) davon, mit Steuersenkungen gegen die Inflation ankämpfen zu wollen.
Eine Halbierung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel brächte einen Effekt von 0,3 Prozentpunkten bei der Inflation, rechneten die Notenbanker am Dienstag vor.
Externe Faktoren "hinnehmen"
"Wenn man versucht, extern bedingte Faktoren der Teuerung intern wettzumachen, führt das zu anderen Problemen", sagte OeNB-Vizegouverneur Wolfgang Duchatczek in Alpbach in Richtung der lohnverhandelnden Arbeitnehmervertreter. Die Nationalbank mahnte in der Vergangenheit wiederholt zu moderaten Lohnabschlüssen, um die Lohn-Preis-Spirale nicht anzuheizen.
International bedingte Kaufkraftverluste seien "hinzunehmen" bzw. durch erhöhte Produktivität abzufangen, so der OeNB-Vizechef.
Industrie fürchtet um Steuerreform
Auch die Industriellenvereinigung (IV) lehnt die SPÖ-Maßnahmen, insbesondere die Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel, strikt ab. IV-Chef Veith Sorger warnte am Dienstag in Alpbach davor, dass kein Spielraum mehr für eine dringend nötige strukturelle Steuerreform bleibe.
Schon in anderthalb Jahren dieser Regierung seien Steuermittel von einer Milliarde Euro "versickert", die nicht einmal im Budget vorgesehen gewesen seien. Nun werde wieder mehr als eine Milliarde verteilt.
Reform erst ab drei Mrd. spürbar
Damit eine Steuerreform - wie für 2010 geplant - aber für die Bevölkerung spürbar sei, müsse sie mindestens ein Volumen von drei Milliarden Euro haben. Österreich brauche strukturelle Veränderungen, darunter die Senkung des Spitzensteuersatzes, bessere Forschungsförderung und das Vermeiden von Abgaben, die die Unternehmensfinanzierung verteuern, so Sorger.
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