Vom Zarenhof nach Hollywood

Eine neue Biografie zeichnet den Lebensweg von Max Factor nach.
Er gilt als Erfinder der modernen Kosmetik: Max Factor senior, erst für die aristokratische Schönheit am russischen Zarenhof zuständig, später der Schminkkünstler der Hollywood-Elite, hat die Schönheit via Make-up im letzten Jahrhundert erst so richtig salonfähig gemacht.

Pünktlich zum 70. Todestag ist in den USA jetzt eine von der Kritik hymnisch gefeierte Biografie des 1877 geborenen Geschäftsmannes erschienen.

Der Autor Fred E. Basten lässt in "Max Factor: The Man Who Changed the Faces of the World" (Arcade Publishing) das Leben des polnischen Juden, der in die USA emigrierte, Revue passieren - und das war schon lange vor Factors Erfolg in Hollywood recht abenteuerlich.

Von Lodz nach Moskau
Mit sieben verkaufte er in einem Theater in seiner Geburtsstadt Lodz Pausensnacks - seine, wie er später sagte, "Einführung in die Welt des schönen Scheins". Ein Jahr darauf half er in einer Apotheke aus, mit neun nahm ihn ein Perückenmacher und Kosmetiker in die Lehre.

Über Umwege kam Factor aus dem damals russischen Lodz nach Moskau, wo er sein eigenes Geschäft eröffnete. Eine passierende Theatertruppe, die gerade auf dem Weg zur Zarenfamilie war, nahm seine Dienste in Anspruch, und binnen kürzester Zeit wurde der Kosmetiker selbst zum begehrten Dienstleister am Hof - so will es zumindest die Legende.

Eingesperrt am Zarenhof
Factors individuelle Betreuung der eitlen Aristokraten hatte eine unangenehme Nebenwirkung: Er durfte sein Geschäft nur noch einmal in der Woche besuchen und den Hof nur mit Eskorte verlassen. Das hinderte ihn allerdings nicht daran, im Geheimen zu heiraten und drei Kinder zu zeugen.

1903 kam es schließlich zum Wendepunkt: Factor zog es wegen des immer stärker werdenen Antisemitismus in die USA. Ein befreundeter General arrangierte für den Kosmetiker und seine geheim gehaltene Familie die Flucht.

Mit Make-up Arzt ausgetrickst
Factors Kenntnisse, so will es die neue Biografie, spielten dabei eine bedeutende Rolle. Er verpasste sich angeblich selbst ein gelbliches, besonders ungesund wirkendes Make-up und ließ sich vom Hofarzt zur Kur ins ferne Karlsbad schicken, wo er auf seine Frau und seine Kinder traf.

Am Ende der Odyssee wartete der Dampfer nach New York. Am 25. Februar 1904 wurde er in Ellis Island registriert; dort änderte er auch seinen Namen von Faktorowicz auf Factor.

Schon 1908 in Los Angeles
In Amerika bewies der Emigrant gutes Gespür für die Zukunft. 1908, kurz nach den ersten Dreharbeiten in Los Angeles, aber ein Jahr vor der Errichtung des ersten Filmstudios, zog die Familie Factor dorthin.

Die Entwicklung eines Make-ups speziell für Filmschauspieler, das im Gegensatz zur Theaterschminke auch bei Nahaufnahmen und unter den hellen Filmleuchten nicht austrocknete und rissig wurde, etablierte Factor als fixe Größe in der jungen Branche. Stummfilmstars wie Charlie Chaplin und Buster Keaton gehörten zu seiner Kundschaft.

Sein zweites Standbein war die Anfertigung von Echthaarperücken, die er wegen des hohen Preises nicht an Filmproduzenten wie Cecil B. De Mille verkaufte, sondern verlieh.

Individuelles Service für Stars und Filme
Die aufstrebende Filmindustrie war der ideale Nährboden für Factors Einfallsreichtum - denn jeder Star hatte individuelle Bedürfnisse, und jede technische Weiterentwicklung zog auch neue Anforderungen an die Maske nach sich.

Für Rudolph Valentino, den frühen Prototypen des Latin Lover, entwickelte er eine gelbliche Creme, die die dunkle Haut des Italieners etwas aufhellte und so für das amerikanische Publikum attraktiver machte.

Bei der 1925er-Version von "Ben Hur" war das Gegenteil gefragt: Factors Firma produzierte fast 2.300 Liter helloliv Make-up, um die Komparsen beim US-Dreh an ihre dunkelhäutigeren Kollegen in Italien anzupassen.

Fairbanks schwitzte nicht mehr
Douglas Fairbanks, Mitbegründer von United Artists und spezialisiert auf actionreiche, körperbetonte Rollen wie Zorro und Robin Hood, inspirierte Factor zum ersten schweißbeständigen Körper-Make-up.

Das Gegenstück dazu kam ebenfalls aus dem Labor des geschäftstüchtigen Exil-Polen: falscher Schweiß, der laut Basten "aus gleichen Teilen Wasser und Mineralöl" bestand.

Technologie vs. Schminke
Als der Tonfilm eingeführt wurde, zog das etliche Veränderungen nach sich. Weil die alten Leuchten zu laut waren, wurde neue, leisere, aber auch heißere Beleuchtung eingeführt - die Folge: mehr Schweiß.

Die helleren Lampen machten neues Filmmaterial notwendig, das ebenfalls eine unerwünschte Nebenwirkung hatte: Die Gesichter der Schauspieler wirkten darauf zu dunkel. Factor und sein Sohn Frank entwickelten Lösungen für all diese Probleme und bauten so ein Milliardenimperium auf.

Die Farbfilm-Revolution
Dann kam Technicolor und stellte die Factors vor ihre vermutlich größte Herausforderung. Ihre etablierte Schminke wirkte auf Schwarz-Weiß strahlend und natürlich, obwohl die tatsächliche Farbgebung völlig anders war als die Wirkung im Film. Für den neuen Farbfilm war sie also quasi gar nicht zu verwenden, und etliche Stars weigerten sich, damit vor die Kamera zu treten.

Pan-Cake für alle
Vater und Sohn waren monatelang damit beschäftigt, ein neues Produkt zu entwicklen. Das Resultat war Pan-Cake, benannt nach der tortenartigen Form, in der das Make-up verkauft wurde. Als klar wurde, dass viele weibliche Beschäftigte auf den Filmsets Proben für den persönlichen Gebrauch mitgehen ließen, ließ sich Factor überreden, zu expandieren und Kosmetika für ein breites Publikum auf den Markt zu bringen.

Pan-Cake wurde ein riesiger Erfolg - das "am schnellsten und am meisten verkaufte Make-up-Produkt in der Geschichte der Kosmetik", wie Basten schreibt.

Marke besteht weiter
Max Factor starb 1938 im Alter von 61 Jahren. Sein Sohn Frank nahm den Namen Max Factor jr. an und führte das Unternehmen weiter. 1991 wurde die Marke an den Konsumgüterkonzern Procter & Gamble verkauft.

Der Factor-Klan gehört in Hollywood immer noch zum "Adel"; zwei Enkelkinder des Firmengründers sitzen etwa im Aufsichtsrat des inzwischen weltbekannten Promi-Krankenhauses Cedars Sinai.

Schwarze Schafe
Die Factors sorgten aber im Lauf der Jahrzehnte auch immer wieder für Skandale. Max Factors Halbbruder John Factor alias "Jake the Barber" war einer der berühmt-berüchtigtsten Gangster der Prohibitionszeit.

Zuletzt wurde ein weiterer Factor-Nachkomme, Andrew Luster, zu 126 Jahren Haft verurteilt, weil er mehrere Frauen betäubt und vergewaltigt hatte.

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