"In 48 Stunden unter Wasser"
60 Prozent der niederländischen Bevölkerung leben auf Flächen, die unter dem Meeresspiegel liegen, erklärte der 35-jährige Architekt Koen Olthuis das Dilemma. Es gibt 3.500 Polder, durch Eindeichung gewonnenes Land. Man habe das Land dem Wasser abgetrotzt, so Olthuis. "Aber wenn wir alle Wasserpumpen stoppen würden, wäre dieses Land in nur 48 Stunden unter Wasser."
Schwimmende Straßen
Olthuis ist einer der Vordenker einer neuen Generation von Landschafts- und Städtevisionären. "Wenn der Wasserspiegel überall steigt, haben wir ein Problem", so der Architekt.
"Was machen wir also? Wir schaffen Polder mit Wasser. Und dafür brauchen wir eine Infrastruktur, die schwimmen kann - schwimmende Häuser, schwimmende Apartments, schwimmende Straßen."
Lebensnotwendige Experimente
Das klingt wie Zukunftsmusik, wird in den Niederlanden aber Realität. Das Ministerium für Städteplanung und Wohnen wies 15 hochwassergefährdete Gebiete aus, in denen experimentiert werden darf und flutresistente Wohnmodelle entwickelt werden sollen.
"Der wichtigste Schritt ist es, uns auf Experimente einzulassen", sagt Chris Zevenbergen vom UNESCO-Institut für Wasserkunde in Delft. "Wir müssen mit diesen Lebensformen auf dem Wasser experimentieren, um die Technologie weiter voranzutreiben und um auch in der Gesellschaft breite Unterstützung dafür zu schaffen. Diese Experimente sind lebensnotwendig."
Neuer Stadtteil für 48.000 Menschen
Der künstliche Archipel IJburg im Osten von Amsterdam wird die erste Region sein, in der die Mischung aus Booten, Hausbooten, schwimmenden und normalen Häusern in großem Ausmaß getestet wird.
Der neue Stadtteil auf sieben künstlich aufgespülten Sandinseln soll bis 2012 fertiggestellt werden und dann 48.000 Einwohner haben.
Keller als Schwimmkörper
Ein ähnliches Projekt gibt es seit einigen Jahren in der Gemeinde Maasbommel an den Ufern der Maas. Hier wurden rund 40 Amphibienhäuser errichtet, die einfach auf dem Wasser treiben, wenn es zu einer Überschwemmung kommt.
Ausgestattet sind sie wie moderne Wohnhäuser - Gasanschluss inklusive. Auch äußerlich sehen sie nicht ungewöhnlich aus: Sie haben zwei Stockwerke und halbrunde Metalldächer.
Der Keller hingegen steht auf einer Plattform und bildet eine Art Schwimmkörper des Hauses. Wie der Rumpf eines Schiffes gibt der Hohlkörper den Häusern im Ernstfall den Auftrieb, damit sie nicht untergehen.
Beton und Schaumstoff
Olthuis' Architekturbüro Waterstudio kann - wie die Mitbewerber, die sich auf ähnliches Know-how spezialisierten - längst nicht mehr alle Aufträge erledigen. Die schwimmenden Objekte boomen.
"Wir haben eine eigene Technik, ein Fundament aus Beton und Schaumstoff, das die Häuser ebenso stabil macht wie jene auf dem Festland", so Olthuis. "60 Prozent aller Häuser in Holland sind auf schlechtem Boden gebaut, sie stehen auf Pfählen. Und wir machen es eben etwas anders, wir bauen schwimmende Fundamente."
Schwimmender Hafen
Die größten Aufträge kommen derzeit aus den architektonisch stets experimentierfreudigen Vereinigten Arabischen Emiraten. Dort entdeckte man das Bauen auf dem Wasser vor allem deshalb, weil das Klima dort kühler und angenehmer ist.
Olthuis plante etwa einen schwimmenden Hafen, an dem große Kreuzfahrtschiffe anlegen können. Die Touristen werden von dort aus mit kleineren Booten an Land gebracht.
Für Dubai entwarf der Niederländer einen schwimmenden, 100 Meter hohen Aussichtsturm, der sich um seine eigene Achse dreht, und eine wassergekühlte Moschee mit gläsernen Säulen.
"Bessere Welt auf dem Wasser"
Längst nicht alle dieser futuristisch anmutenden Projekte wurden bisher umgesetzt, doch der Architekt zeigt sich zuversichtlich: "300 große Städte liegen am Wasser - entweder an einem Delta oder in der Nähe eines Flusses - und all diese Städte werden in den nächsten Jahren wachsen müssen."
Er wolle beweisen, dass man auch auf das Wasser wachsen könne und dabei noch dazu sicher vor Überflutungen und dem Klimawandel sei: "Wir werden eine bessere Welt auf dem Wasser erschaffen."
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