Ein Urteil am Berliner Arbeitsgericht sorgte vergangene Woche für einen vorläufigen, aber sicher nicht den letzten Höhepunkt in der Causa: Die Redakteure der "Berliner Zeitung", mit einer Auflage von rund 170.000 Exemplaren die auflagenstärkste Abonnentenzeitung Berlins, wollten die Absetzung ihres Chefredakteurs Josef Depenbrock erreichen, der gleichzeitig Geschäftsführer ist.
Grenzen missachtet?
In den Augen der Redakteure müsste die journalistische Arbeit vom kaufmännischen Bereich getrennt werden. Seit Depenbrocks Antritt seien immer wieder die Grenzen zwischen redaktionellem Inhalt und Werbung missachtet worden, sagte Redakteursvertreter Thomas Rogalla. Als Beispiel nannte er Werbeaktionen, die nicht als solche für den Leser erkennbar gewesen seien.
Das Gericht wies die Klage unter Berufung auf das vereinbarte Redakteursstatut zurück: Die Redaktion habe demnach ein Mitspracherecht, könne aber die Ernennung des Chefredakteurs nicht verhindern.
Via Anzeige "Verleger gesucht"
Der Krieg der Worte geht trotzdem weiter. Die Redaktion schaltete in der "taz" eine Anzeige, in der sie unter dem Titel "Verleger gesucht" ihre gesammelten Dienste potenziellen Investoren feilbot. Depenbrock ließ gleichzeitig in Hinblick auf die mangelnde redaktionelle Harmonie verlauten, man sei schließlich keine "Wohlfühlgruppe".
Außerdem steht ein Arbeitskampf mit Betriebsversammlungen und Streiks im Raum. In der BV Deutsche Zeitungsholding, zu der neben der Netzeitung und der "Berliner Zeitung" auch die "Hamburger Morgenpost", der "Berliner Kurier" und das Stadtmagazin "tip" gehören, sollen 150 Stellen gestrichen werden.
Das Ende der Netzeitung?
In der Holding ging der vor zweieinhalb Jahren vom britischen Investor David Montgomery gekaufte Berliner Verlag auf. Depenbrock gilt als Montgomerys Berliner "Statthalter", die Einsparungspläne gehen auch auf seine Kappe.
Nicht nur bei der "Berliner Zeitung", auch bei der Netzeitung geht inzwischen die Angst um. Die ausschließlich online publizierte Tageszeitung gilt als Pionier in diesem Bereich. Die ohnehin schon kompakte Belegschaft mit 16 Angestellten und einigen freien Mitarbeitern könnte nun halbiert - was den laufenden Betrieb wohl deutlich einschränken würde - oder komplett entlassen werden.
Ein Newsroom
Dabei hatte Montgomerys Motto eigentlich "Online first" gelautet. Die "Berliner Zeitung" und die Netzeitung hätten dafür zusammengelegt werden sollen, ähnlich wie beim Konkurrenten Holtzbrinck, wo sich der seriöse "Tagesspiegel" und das auf hip getrimmte Nachrichtenportal Zoomer einen Newsroom teilen.
Während Depenbrock in der "Frankfurter Rundschau" ("FR") erklärte, dadurch werde "das Handicap der Netzeitung beseitigt, bisher nicht an ein Printhaus angebunden zu sein", warnte Netzeitung-Betriebsrat Matthias Breitinger davor, die erfolgreiche Marke auf ein Abspulmedium für Printtexte zu reduzieren und ihr so zwei für den Online-Journalismus zentrale Elemente zu nehmen: die Aktualität und die unkonventionellen Blickwinkel.
"Blutige Woche" in den USA
Ähnliche Verwerfungen spielen sich in den USA ab, wo die "New York Times" ("NYT") gerade die "blutigste Woche des Jahres" im Mediengeschäft ausrief. Beim Mitbewerber von der Westküste, der "Los Angeles Times" ("LAT"), müssen 150 Redakteure ihren Hut nehmen.
Die "NYT" und die "LAT", zwei der international wichtigsten Zeitungen, die eine clevere und erfolgreiche Online-Strategie vorweisen können, haben mit einer paradoxen Situation zu kämpfen: Ihre Reichweite und Leserschaft ist dank Internets größer denn je, die Werbeeinnahmen sind es (noch) nicht.
"Uns bleibt weniger Geld"
"Dank des Internets haben unsere Werbekunden mehr Möglichkeiten, und uns bleibt weniger Geld", schreibt "LAT"-Chefredakteur Russ Stanton in einer Mail an die Belegschaft. Die harten Kürzungen werden Print und Online trotzdem gleichermaßen treffen, von der grundsätzlichen Strategie will man nicht abweichen.
In Berlin hingegen ist von Montgomerys "Online first"-Kurs nichts mehr zu hören. "Statt dem Stellenabbau mit einer Online-Offensive zu begegnen, wird sich an das Geschäftsmodell Printzeitung geklammert", analysiert das deutsche Branchenblog Medienlese und fragt skeptisch: "Ob das wohl gutgeht?"
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