Die Krimis der Saison

Krimis aus Schweden, Belgien und Argentinien.
Der heurige Sommer verspricht Krimispannung höchster Güte. Von temporeicher Action bis hin zu Thrillern mit literarischem Tiefgang sollte für jeden Suspense-Fan etwas dabei sein.

Mankells "Chinese"
Henning Mankell gilt als Gründervater des nordischen Krimibooms. Seine "Wallander"-Bücher waren allesamt Megaseller. Seit einiger Zeit geht der 60-Jährige neue Wege, so auch mit seinem aktuellen Titel "Der Chinese".

Am Anfang steht ein Massenmord - ein kleines schwedische Dorf wird fast zur Gänze ausradiert. Während die Polizei von einem psychotischen Täter ausgeht, hegt eine Richterin Zweifel. Durch ihre Recherchen ergibt sich eine zweite Dimension des Falls.

Denn ihren Ausgang scheinen die Verbrechen bereits Ende des 19. Jahrhunderts in den USA genommen zu haben, wo Chinesen zur Arbeit an den Eisenbahnlinien gezwungen worden waren. Thriller und historischer Roman verweben sich zu einem packenden Krimi.

Henning Mankell: Der Chinese. Zsolnay, 603 Seiten, 25,60 Euro.

Keine Stangenware
"Der langsame Tod der Luciana B." des argentinischen Mathematikers Guillermo Martinez ist keine kriminalliterarische Stangenware. Der Autor legt nicht nur einen spannungsgeladenen, stringenten Handlungsablauf vor, sondern baut ebenso mythische Elemente und philosophische Überlegungen in seinen knapp 200 Seiten starken Text ein.

Luciana B., ehemals Sekretärin bei dem zwischenzeitlich zum Weltstar arrivierten Krimiautor Kloster, ist mit den Nerven am Ende. Ihr Freund, ihre Eltern und zuletzt ihr Bruder finden auf mysteriöse Weise den Tod. Sie vermutet einen Racheakt Klosters, der sie für den Unfalltod seiner Tochter verantwortlich macht. Nun soll ein anderer Schriftsteller Luciana helfen, dessen anfängliche Skepsis sich langsam in ungläubiges Grauen wandelt.

Wer Krimis mit DNA-Analysen und Einschusswinkeln liebt, dem sei von diesem Buch abgeraten. In Martinez' Werk spielt die Sprache die Hauptrolle, und so hält er sich selbst an Klosters Grundsatz: "Man sollte nicht über das schreiben, was war, sondern über das, was gewesen sein könnte."

Guillermo Martinez: Der langsame Tod der Luciana B. Eichborn, 198 Seiten, 18,50 Euro.

Der blinde Ermittler
Der "Spiegel" bezeichnet Friedrich Ani schlicht und schnörkellos als "Deutschlands besten Krimiautor". Abgesehen von "Tatort"-Folgen für das Fernsehen schreibt er derzeit zwei Krimireihen. Eine um einen Mönch und eine über einen blinden, pensionierten Polizeibeamten.

Heuer erschien wieder ein Roman über Jonas Vogel, der "Seher" genannt wird, weil aufgrund seiner Blindheit seine anderen Sinne geschärft sind: "Wer tötet, handelt". Vogel will bei einer Geiselnahme vermitteln und bietet sich schließlich als Austauschgeisel an.

Eine mindestens ebenso wichtige Rolle spielen bei Ani neben der Haupthandlung immer auch die Lebensumstände der Ermittler. Auch hier kommt Spannung auf, Ani "brennt" für seine Figuren, wie er selbst sagt. Der "Spiegel" beschreibt das so: "Mit einer an Dostojewski erinnernden Radikalität will er herausfinden, bis zu welchem Punkt ein Mensch gedemütigt und misshandelt werden kann."

Friedrich Ani: Wer tötet, handelt. dtv, 176 Seiten, 8,20 Euro.

Weit mehr als ein Politthriller
Den Abschluss einer international in den Himmel gelobten Trilogie des 2004 verstorbenen Autors Stieg Larssons bildet "Vergebung". Der Schwede ließ das Ermittlerduo Blomkvist und Salander mafiöse Strukturen bis in die Regierung des Landes hinein aufdecken.

Im dritten, nun auf Deutsch erschienenen Teil ist Lisbeth Salander wegen eines Komplotts des Geheimdienstes in Gefahr. Mikael Blomkvist versucht gegenüber der Justiz, ihre Unschuld zu beweisen. Salanders Leben ist in Gefahr. Wird sie gegen den Geheimdienst bestehen können?

Am besten beschreibt das Besondere an Larssons Romanen vielleicht die Tatsache, dass sie von der "Bild"-Zeitung ("So mitreißend, dass sie eine Gefahr für das öffentliche Leben darstellen") genauso gelobt werden wie vom "Spiegel" (die Trilogie sei "weit über das Genre des Politthrillers hinausgewachsen: Sie ist ein großer Gesellschaftsroman"). Ein "Page-Turner" für jeden Leser.

Stieg Larsson: Vergebung. Heyne, 848 Seiten, 23,60 Euro.

Belgischer Ex-Kommissar mit Physikfetisch
Einer der Krimis des Jahres ist fraglos "Die Sehnsucht der Atome", geschrieben vom Schweizer Sexkolumnisten, Journalisten und Autor Linus Reichlin.

Ein vereinsamter belgischer Ex-Kommissar begibt sich nach dem mysteriösen Tod eines amerikanischen Ehepaars auf die Suche nach dessen verschwundenen Zwillingskindern. Philosophierend spiegelt Hannes Jensen sein Leben - und seinen Fall - in den Gesetzmäßigkeiten der Teilchenphysik. Ungläubig stellt er sich der Frage: Ist ein esoterischer Hintergrund der Todesfälle möglich?

Nicht oft wird ein Krimi so einhellig in den Feuilletons gelobt. Die "Neue Zürcher Zeitung" schrieb etwa: "Reichlin kann famos erzählen, Atmosphäre heraufbeschwören, einen verzwickten Plot aushecken und Romanfiguren aufbauen, die einen nicht kalt lassen."

Linus Reichlin: Die Sehnsucht der Atome. Eichborn, 359 Seiten, 20,60 Euro.