Wie der öffentlich-rechtliche Rundfunksender RTE Freitagvormittag berichtete, zeigten erste Auszählungsergebnisse in den Wahlkreisen Dublin, Limerick, Kerry und Cork eine zum Teil klare Ablehnung des Vertrags von Lissabon bei der Volksabstimmung vom Donnerstag.
Insbesondere im größten Sprengel Dublin zeichnete sich eine Niderlage der Vertragsbefürworter ab. "Es sieht sehr danach aus, dass die Nein-Wähler vorne liegen", wurde Irlands Labour-Chefin Joan Burton zitiert. Auch Justizminister Dermot Ahern ging in einem TV-Interview bereits von einem negativen Ergebnis aus.
Nur geringe Wahlbeteiligung
"Das Nein ist entweder deutlich vorne, oder es steht 50:50. Bisher gibt es kaum Stimmlokale, wo das Ja vorne liegt", hieß es in RTE. "Es sieht schlecht für das Ja aus." Die Teilergebnisse seien jedoch vorerst nur bedingt aussagekräftig, da erst ein kleiner Teil der 43 Wahlkreise ausgezählt sei, schränkte der Sender ein.
"Auf Messers Schneide"
RTE hatte zuvor die irische Regierung mit den Worten, das Referendum stehe "auf Messers Schneide", zitiert. Nach Einschätzung von Meinungsforschern könnte die niedrige Teilnahme an der Abstimmung den Gegnern des Reformvertrags in die Hände gespielt haben, da diese bis zuletzt viel engagierter mobilgemacht hatten als auf der anderen Seite die Befürworter. Laut RTE lag die Wahlbeteiligung nur knapp über 40 Prozent.
"Kein Plan B"
Sollte das Votum tatsächlich negativ ausfallen, würde der Vertrag nicht wie geplant mit 1. Jänner 2009 in Kraft treten können. Er ist nach dem Scheitern der EU-Verfassung 2005 der zweite Versuch, die Institutionen der Gemeinschaft neu und effizienter als bisher zu organisieren.
Fällt auch der Reformvertrag durch, ist dessen Zukunft unklar; wahrscheinlich ist in diesem Fall ein weiterer Streit über die Re-Organisation der Union. Aus Brüssel hatte es dazu zuletzt von Johannes Laitenberger, dem Sprecher von EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Durao Barroso, geheißen, es gebe "keinen Plan B".
Am Freitag sank der Euro-Kurs als Reaktion auf das sich abzeichnende Abstimmungsergebnis zeitweise bis auf 1,53 Dollar.
Erinnerungen an 2001
Irland hatte bereits den geltenden Vertrag von Nizza erst im zweiten Anlauf im Oktober 2002 angenommen. Ein erstes Referendum scheiterte im Juni 2001 bei niedriger Beteiligung klar. Damals hatten die Vertragsgegner vor allem Sorgen um die irische Neutralität ins Feld geführt.
Die EU sicherte Irland daraufhin in einer eigenen Erklärung zu, dass der neutrale Charakter des Landes durch das Vertragswerk nicht berührt wird. In der Kampagne vor der nunmehrigen Abstimmung hatten auch wirtschaftliche Sorgen dem Nein-Lager Auftrieb gegeben.
Wirtschaft abgekühlt
Die Wirtschaft des "keltischen Tigers" hat sich deutlich abgekühlt, und durch die sprunghaft gestiegene Zuwanderung aus EU-Neumitgliedern bekommt das ehemalige Armenhaus Europas, das bisher von milliardenschweren EU-Subventionen profitierte, auch vermeintlich negative Seiten der europäischen Integration immer mehr zu spüren.
"Viel Verwirrung"
Die Vertragsbefürworter hatten sich trotzdem bis zuletzt zuversichtlich gezeigt, die Stimmung doch noch drehen zu können.
Außenminister Michael Martin hatte eingeräumt, unter den Iren herrsche "viel Verwirrung" über den EU-Vertrag. Tatsächlich war ein großer Teil bis zuletzt unentschlossen und offenbar wenig informiert. Gerade im Nein-Lager hieß es, dass man kaum wisse, worum sich der Vertrag konkret dreht, berichtete die "Irish Times" vor rund einer Woche.
"Werden nicht Gespött Europas"
Motor hinter der Anti-Vertragskampagne war der 39-jährige Telekom-Multimillionär Decan Ganley mit seiner Organisation Libertas. Er sieht durch den Brüsseler Harmonisierungsdrang die unschlagbar niedrigen Steuersätze gefährdet.
Ganley hatte gegenüber der deutschen "Zeit" aber auch mit einem befürchteten Demokratiedefizit argumentiert: "Ich will Demokratie, keine Oligarchie, in der die reichen Lobbyisten das Sagen haben. (...) Wie bitte soll ein zukünftiger europäischer Präsident, der nicht vom Volk gewählt ist, der chinesischen Regierung gegenübertreten und ihr etwas von Demokratie erzählen?"
"Negatives und Positives"
Kritiker aus dem anderen Lager hatten währenddessen Regierungschef Brian Cowen vorgehalten, den Vertrag von Lissabon nur halbherzig zu unterstützen und Leuten wie Ganley nichts entgegenzusetzen. "Es gibt darin Negatives und Positives, aber ich glaube, wir müssen sagen, per saldo überwiegt das Positive", sagte der Regierungschef.
Dabei verdankt Cowen seinen Posten als irischer Premier indirekt dem Reformvertrag. Der in einen Korruptionsskandal verstrickte langjährige Regierungschef Bertie Ahern war im Mai zurückgetreten, um zu verhindern, dass das Referendum zu einem innenpolitischen Protestvotum gegen die Regierung wird.
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