"Unerträglicher Gestank" im Hörsaal 1

Die "maßlose Wut" der Aktionisten entleerte sich in der Uni.
Wien war nicht Paris, schon gar nicht 1968. Aber einige Wegmarken der Protestbewegung blieben auch hierzulande in Erinnerung. Die wahrscheinlich markanteste war eine Aktion an der Uni Wien am 7. Juni des Jahres, die als "Uniferkelei" in die Annalen einging.

Geladen hatte zu der Veranstaltung mit dem vielsagenden Titel "Kunst und Revolution" im Hörsaal 1 der Wiener Universität die Studentengruppe SÖS (Sozialistischer Österreichischer Studentenbund).

Was der Körper hergibt
Zunächst hielt Peter Weibel eine flammende Rede gegen den damaligen Finanzminister Stephan Koren. Dann stürmten die Künstler Oswald Wiener, Günter Brus und Otto Mühl die Bühne.

Brus sang die Bundeshymne, zog sich aus, entleerte seinen Darm und onanierte, Mühl peitschte einen vermummten Masochisten aus, und Wiener hielt einen unverständlichen Vortrag über Input-Output-Theorie.

"Und so war das Ganze ein simultanes Happening", sagte Weibel jetzt gegenüber Ö1 - mehr dazu in oe1.ORF.at. Er bezeichnete die Aktion als das Nachholen einer Selbstreinigung Österreichs, die in der Folge der Nazi-Zeit unterschlagen worden sei.

"Mit einer maßlosen Wut im Bauch"
Brus erklärte in einem ORF-Interview 2003: "Ich habe den Staat nicht verändern wollen im Sinn einer neuen Regierungsform oder so was, ich wollte ihn nur aus seinem Mief rauslocken. Zugleich wollte ich aufschreien und sagen: Was macht ihr mit mir?"

In seinem im Vorjahr erschienenen Buch "Das gute alte Wien" schreibt Brus: "Wir hatten uns zur totalen Provokation entschlossen. Ich ging mit einer maßlosen Wut im Bauch ins Rennen. Ich hatte keine 'Kunst' mehr vor, sondern nur den Schock."

"Endlich darauf geschissen"
Bei einer Diskussion im April dieses Jahres über die Geschehnisse von damals meldeten sich mehrere Augenzeugen zu Wort. Der Architekt Günther Feuerstein erzählte: "Ich bin in der ersten Reihe gesessen. Dort war der Gestank aber bald unerträglich. Also haben wir uns nach hinten gesetzt."

Auch eine Kunstgeschichtestudentin dieser Zeit gab ihre Eindrücke wieder. Sie habe die damals üblichen Vorlesungen unerträglich gefunden und den Mut der Künstler bei der Aktion aufrichtig bewundert: "Ich war so etwas von glücklich, dass man endlich darauf geschissen hat."

"Ganz schön versagt"
Am Tag nach der Veranstaltung folgte die Enttäuschung, als die Protagonisten im Kaffeehaus zusammensaßen, schreibt Brus in seinem Buch, wobei er den Namen Oswald Wiener in Oswald Wienerwald abwandelt: "'Da haben wir ganz schön versagt', greinte Wienerwald." Es gab weder Schlagzeilen noch einen Skandal.

Zuerst die Haft ...
Mit einem Tag Verspätung stellten sich die Reaktionen ein - die dann aber ebenso heftig waren wie die Aktion selbst, ganz abgesehen von der beispiellosen medialen Entrüstung. Mühl verbrachte einige Wochen in Untersuchungshaft.

Der nach eigenen Angaben damals "meistgehasste Mensch Österreichs", Brus, wurde wegen "Verletzung der Sittlichkeit und Schamhaftigkeit" zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt.

Nach zwei Monaten Haft und danach erwirkter Freilassung flüchtete er 1969 nach Berlin, gründete dort mit Wiener und Gerhard Rühm die "Österreichische Exilregierung" und deren "Regierungs-Zeitschrift" "Die Schastrommel".

Erst 1976 konnte seine Frau Anna Brus beim Bundespräsidenten bewirken, dass seine Haftstrafe in eine Geldstrafe umgewandelt wurde. 1979 kehrte Brus nach Österreich zurück und ließ sich in Graz nieder.

... und schließlich der Staatspreis
Heute gilt die Aktion "Kunst und Revolution" als zentraler - und abschließender - Moment des Wiener Aktionismus, sie ist längst in die Kunstgeschichtebücher eingegangen.

Und Brus hat inzwischen den Österreichischen Staatspreis bekommen.

Buchhinweis
Günter Brus: Das gute alte Wien. Verlag Jung und Jung 2006, 164 Seiten, mit zwölf Zeichnungen des Autors, 22 Euro.