"M. Himmelreich, Tapeziererei" steht jetzt in Frakturschrift an einer Hauswand, "Polsterungen aller Art". Davor haben Helfer fünf Meter Schienen gelegt, damit die Kamera eine geschmeidige Fahrt zurück machen kann.
Ein bleicher Mann aus der Provinz
Passanten werden freundlich gebeten, nicht durchs Bild zu gehen, dann heißt es Konzentration: "Bitte Ruhe, wir drehen", "Ton ab - läuft", "Klappe und ... bitte!"
Ein schmaler, bleicher, junger Mann mit Oberlippenbart hastet um die Ecke. Mit langen Schritten versucht er zwei Diebe einzuholen, die ihm, gerade aus der Provinz in Wien gelandet, schon den Koffer gestohlen haben: Der junge Mann ist Tom Schilling als junger Hitler.
Hoffentlich keine Wolken
Regisseur Urs Odermatt schaut sich das Bild noch einmal auf dem Monitor an; es wird wiederholt. Der Aufnahmeleiter ruft beim Wetterdienst an und erkundigt sich, ob der blaue Himmel am Nachmittag anhält. Falls nicht, stimmt das Licht nicht mehr. Das Team hat Glück, das Wetter bleibt stabil.
50 Menschen arbeiten am Set von "Mein Kampf". Zwischen ihnen läuft Odermatt umher und strahlt Schweizer Gelassenheit aus. Im Gespräch mit ORF.at erklärt der Regisseur in einer Drehpause, weshalb er die meisten Schauplätze, die im Film Wien darstellen, in Zittau fand, im deutsch-polnisch-tschechischen Dreiländereck.
"Der Film spielt ja 1910, und wir haben wirklich erst daran gedacht, uns in Wien Motive zu suchen oder in anderen habsburgischen Städten wie Budapest. Dann haben wir die teilweise sogar gefunden, aber mitten in Städten, die eher nach 2008 aussehen", sagt der Regisseur.
"Klein-Wien" im Osten Deutschlands
"Kaum schwenkt man die Kamera da um einen Zentimeter zu viel, ist es auch schon vorbei, und man merkt den Filmen auch oft an, dass das der letzte mögliche Ausschnitt war. Wir haben uns dann lieber gefragt: Wo sind Städte, die heute noch weitgehend habsburgisch wie 1910 aussehen?"
Schließlich sei dem Team von Zittau erzählt worden, dem "nordwestlichen Zipfel der Monarchie", wie es Odermatt beschreibt: "Das war wie Klein-Wien. In der Mitte der Stadt ist eine Wiese, rundherum kann man drehen - es ist historisch sauber." Ein weiteres Motiv, die Wiener Oper, wird im tschechischen Liberec nachgestellt.
Lieber Spielleiter als Regisseur
Götz George als jüdischer Buchhändler Schlomo Herzl, der den von der Akademie verschmähten Postkartenmaler Adolf Hitler tröstet und ihn ermuntert, doch in die Politik zu gehen, ist an diesem Nachmittag noch nicht dabei. Wie er den deutschen Star für den Film mit seinem Minibudget von 2,7 Millionen Euro gewonnen habe? Mit seinem Charme, antwortet der Regisseur verschmitzt.
Odermatt nennt sich lieber Spielleiter: "Ich verstehe mich nicht als Filmemacher im Sinne von: Mich interessiert alles am Filmemachen und die Schauspieler auch. Mich interessieren das gesprochene Wort und die Schauspieler zuerst. Beim Schreiben wie beim Spielen hat man ja zu 80 Prozent das gleiche Handwerk: Man sucht in seinem emotionalen Gedächtnis nach der Figur, die man spielen oder erzählen will."
Misstrauen gegenüber Theaterstoffen
Fünf Jahre dauerte es, bis Odermatt und sein Produzent Martin Lehwald das Geld für die deutsch-österreichisch-schweizerische Koproduktion aufgetrieben hatten.
Odermatt traf mit Tabori - damals schon hochbetagt - zu diesem Anlass sogar persönlich zusammen. Ergebnis des Treffens: Tabori habe ihm seinen Stoff anvertraut, erinnert sich Odermatt.
Warum trotz großer Namen nur ein kleines Budget zusammenkam, erklärt sich der Filmemacher damit, dass viele Produzenten eben bei der Umsetzung eines Theaterstoffes misstrauisch seien. Immerhin: Einen österreichischen (Filmladen) und einen deutschen (UFA) Verleih gibt es schon. "Mein Kampf" soll 2009 in die Kinos kommen.
Alexander Musik, ORF.at
Links:
- Drehtagebuch der Produktion
- George Tabori (Wikipedia)