Beratungen über Urteil

Im Prozess kamen die Gutachter zu Wort.
Der Prozess gegen Helmut O., der den Spitzer Bürgermeister Hannes Hirtzberger laut Anklage durch eine mit Strychnin versetzte Praline vergiftet haben soll, soll am Dienstagabend im Kremser Landesgericht in erster Instanz zu Ende gehen.

Richterin Ingeborg Kristen begann am Nachmittag mit Verlesungen aus dem Akt. Danach sollte der aus drei Berufsrichtern bestehende Senat über die Fragen beraten, die die Geschworenen im Rahmen ihrer Beratung über Schuld oder Unschuld des 56-Jährigen beantworten müssen. Die Beratungen der Geschworenen dauerten am Dienstagabend weiter an.

Sollte der Beschuldigte im Sinne der Anklage wegen versuchten Mordes schuldig gesprochen worden, drohen ihm zehn bis 20 Jahre Haft oder lebenslang.

"Übereinstimmung mit DNA-Probe"
Christa Nussbaumer setzte sich als letzte Sachverständige am Dienstagnachmittag vor allem mit der DNA-Spur auseinander, die auf der Innenseite der Glückwunschkarte entdeckt wurde, die der vergifteten Praline beigelegt worden war.

Mit roter Farbe, möglicherweise von einem Lippenstift, hatte der vermutliche Täter zwei Herzen auf das Billett gemalt. Darüber fand sich der Schriftzug: "Du bist für mich ganz etwas Besonderes."

Man könne davon ausgehen, "dass Helmut O. dieses Billett in der Hand hatte, weil seine DNA drauf ist", bemerkte Nussbaumer. Im Bereich der roten Herzen hätte sich "eine gute Hautzellspur" gefunden, die eindeutig mit dem zweiten Mundhöhlenabstrich des Angeklagten übereinstimme.

"Aus Kostengründen nicht großflächig untersucht"
Die erste DNA-Probe, die die Polizei von dem Verdächtigen anforderte, hatte dieser laut Anklage mit dem Speichel seines 23-jährigen Sohnes versetzt, um - so jedenfalls die Anklage - seinen genetischen Fingerabdruck zu verfälschen und die Behörden auf eine falsche Fährte zu locken. Die Hautzellen seien "zufällig" auf das Billett gelangt, vermutete die Gutachterin.

Auf die Frage von Verteidiger Nikolaus Rast, weshalb offenbar keine DNA seines Mandanten an anderen Stellen der Karte entdeckt wurde, meinte Nussbaumer, das Billett sei aus Kostengründen nicht großflächig untersucht worden.

Sie habe sich dazu entschlossen, im Bereich der aufgemalten Herzen zu suchen, weil es ihr am Wahrscheinlichsten erschienen sei, hier fündig zu werden.

Reiter: "Mehrfach tödliche Dosis"
Hirtzberger sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit einer mehrfach tödlichen Dosis Strychnin vergiftet worden, die ihm in Form einer präparierten Mon-Cheri-Praline verabreicht wurde. Das stellte der Gerichtsmediziner Christian Reiter am Dienstag fest.

Dass Hirtzberger überhaupt überlebte, grenze beinahe an ein Wunder. Üblicherweise führe bei Betroffenen eine Dosis von 0,5 bis 1 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht bereits zum Tod, führte Reiter aus. In der Literatur werde von Fällen berichtet, wo Vergiftete nach einer Menge von 30 bis 40 Milligramm gestorben seien.

"Bürgermeister wird Pflegefall bleiben"
Den Berechnungen des Gerichtsmediziners zufolge dürfte Hirtzberger 700 Milligramm aufgenommen haben, wobei er das als "Richtwert" bezeichnete: "Ich lasse mir sofort 100 Milligramm herunterhandeln."

Sollte der Spitzer Bürgermeister je wieder das Spital verlassen können, werde er ein Pflegefall bleiben. "Es ist zweifellos von schweren Dauerfolgen auszugehen", sagte Reiter.

Verteidiger: Geht nicht
Für Verteidiger Rast ist es denkunmöglich, dass eine einzige Praline 700 Milligramm Gift aufnehmen kann: Um den Sachverständigen zu widerlegen, hatte er sich zur Unterstützung Michael Freissmuth vom Pharmakologischen Institut der Medizinischen Universität Wien mitgenommen.

Rast ließ ein Video abspielen, das dokumentieren sollte, dass es nicht möglich sei, eine so große Menge des Gifts in ein Mon Cheri zu injizieren: Beim Versuch, es aus einer Nadel zu drücken, würden maximal einige Tropfen aus der Kanüle gelangen.

Reiter: Bei Puder möglich
Reiter konterte: Wenn Strychnin zu Puder fein gerieben werde, sei es möglich, das mit einer Flüssigkeit - im gegenständlichen Fall soll das seiner Annahme zufolge mit dem in einem Mon Cheri enthaltenen Likör geschehen sein - zu injizieren.

Streit über chemisches Gutachten
Auch das Gutachten des chemischen Sachverständigen Günter Gmeiner, Leiter des Dopingkontrolllabors in Seibersdorf, sorgte für Diskussionen. Für die Verteidiger Rast und Kurt Wolfmair soll die Staatsanwaltschaft dem Chemiker einen unzureichenden Gutachtenauftrag erteilt haben.

Gmeiner war nicht gebeten worden, konkret nach Inhaltsstoffen eines Mon Cheri - Schokolade, Kakao, Vanillin - zu suchen. Sollte es das Gericht für nötig befinden, den Mageninhalt eingehender analysieren zu lassen, wäre das durch ein Ergänzungsgutachten machbar: Teile dieses Beweismittels wurden konserviert.

Bilder vom Prozess in noe.ORF.at

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