Einige internationale Medien waren relativ schnell darin, bezüglich eines ganzen Landes zu generalisieren und zu psychologisieren.
"Derart kranke Fantasien"
So schrieb etwa die slowenische Tageszeitung "Delo" am Dienstag: "Österreich wird sich fragen müssen, was einige in seiner reichen, selbstbewussten Gesellschaft dazu verleitet, derart kranke Fantasien zu verwirklichen wie das Einsperren einer Geliebten allein und für immer in einem dunklen Keller."
Es scheine, dass "die Perversen ihren Nachbarn scheinbar mit Leichtigkeit ein normales, sogar angenehmes Antlitz zeigen, während sie irgendwo unter der Erde langsam Menschenleben zerstören".
Autoritäres Niederösterreich
Auch der liberale "Tages-Anzeiger" in Zürich spannte den Bogen vom konkreten Fall zu einer allgemeinen Gesellschaftsanalyse: "Im erzkatholischen Niederösterreich sind Worte wie Zivilgesellschaft und Eigenverantwortung noch immer fremd. Lehrer, Priester, Bürgermeister sind unangefochtene Autoritäten, der Landeshauptmann regiert wie ein feudaler Fürst", heißt es.
In einer solchen Gesellschaft frage man nicht nach. Wenn die Obrigkeit nicht eingreife, werde alles schon seine Ordnung haben. Ein Ingenieur sei hier noch eine Respektsperson.
In welchen Verhältnissen die "Enkelkinder" des Verdächtigen Josef F. aufwuchsen, hätten die Lehrer nicht wissen wollen - es "waren halt ruhige Kinder". Autorität werde in Niederösterreich "noch großgeschrieben, Hinterfragen klein".
"La Stampa" sucht Freud
"Wie oft ist es passiert in Felix Austria, dass sich hinter der scheinbaren Perfektion Gespenster, Neurosen, Wahnsinn verstecken", legt "La Stampa" aus Turin ein Land auf die Couch. "Nicht umsonst hat Freud im Zentrum der habsburgischen Monarchie die Abgründe der menschlichen Seele erforscht und versteckte Wunden entdeckt, die immer bereit sind, sich wieder zu öffnen und zu eitern."
Serienmörder und Perversionen seien natürlich keine exklusiv österreichischen Phänomene: "Doch nur dort verbinden sie sich mit Walzer, Jodeln und Kuckucksuhren. Nur dort kann Wahnsinn jahre-, jahrzehntelang mit derselben stillen, bürokratischen Ausdauer lodern, die das habsburgische Reich legendär gemacht hat."
In "diesem Josef F." stecke etwas ungeheuerlich Biedermeierisches, "etwas ungeheuerlich und einzigartig Österreichisches".
Weitere grausame Geschichte
Die liberale polnische Tageszeitung "Dziennik" fragt im Titel: "Warum werden in Österreich solche Bestien geboren?" Im Text, der auch den Fall Kampusch erwähnt, heißt es, das sei "eine weitere grausame Geschichte, die Österreich erschüttert".
"Ein Land sollte sich fragen ..."
Der britische "Guardian" schafft es, vom Amstettner Inzestfall bis zum Holocaust zu gelangen. Die Fälle von weggesperrten, vergewaltigten Kindern seien auch als Symptome einer wohlhabenden, selbstzufriedenen Gesellschaft zu sehen. Im Zentrum stehe eine Gesellschaft, in der sich Menschen nicht dafür interessieren, was beim Nachbarn vorgehe, solange es ihnen selber gut gehe.
"Es ist auch eine Gesellschaft, die eine sehr dunkle Seite hat", schreibt der "Guardian". Über Jahre hinweg habe das Land mit geschickten Marketingmitteln auf die Berge und Mozart hingewiesen und sich als "Hitlers erstes Opfer" definiert, um zugleich die Rolle, die man im Holocaust gespielt hat, zu vermeiden: "Man sollte vorsichtig sein, zu weit mit solchen Überlegungen zu gehen - doch dieses Land hat sich die Regeln einverleibt, wie man Dinge zudeckt." Schlusssatz des "Guardian": "Ein ganzes Land sollte sich jetzt fragen, was da falsch läuft."
Links: