Buhlen um Arbeiterstimmen

Wahlkampf im Armenviertel der USA.
Die guten alten Zeiten sind in Pennsylvania schon lange vorbei. Es waren jene Zeiten, in denen die Glut der Stahlschmelzen nie ausging, die Kohlegruben sich tief in die Erde fraßen und Pioniere wie der legendäre Stahlbaron Andrew Carnegie den US-Bundesstaat zur Wiege der Industrialisierung Amerikas werden ließen.

Ein Zufall im Wahlkalender will es, dass hier am Dienstag die möglicherweise entscheidende Vorwahl im Duell von Barack Obama und Hillary Clinton stattfindet.

Eine unverhoffte Aufwertung für Pennsylvania: Im Kampf um Wählerstimmen müssen die Kandidaten hier in Amerikas verarmtem Hinterhof zu Armut, Arbeitslosigkeit und anderen sozialen Problemen Stellung nehmen und für den Fall ihrer Wahl Abhilfe versprechen.

Verödete Landstriche
Die Wahlschlacht der beiden US-Demokraten um die Präsidentschaftskandidatur beschert Amerikas "Rostgürtel", den kriselnden Industrieregionen im Nordosten, ungewohnte Aufmerksamkeit. Der Niedergang der traditionellen Industrien hatte hier ganze Landstriche veröden lassen, mit den Fabriken wanderten die jungen Leute ab.

In den großen Industriemetropolen des "Rostgürtels" ging einer Studie des Washingtoner Brookings-Instituts zufolge in den letzten zehn Jahren jeder vierte Industriearbeitsplatz verloren. Von den verbliebenen Arbeitern erhalten 60 Prozent Niedriglöhne. Die wenigen neuen, besser bezahlten Jobs in der Dienstleistung konnten den Verlust nicht wettmachen.

"Genossin Hillary" oder "Kumpel Barack"
Die Wählerklientel der Demokraten sind hier Gewerkschafter, Arbeiter, Geringverdiener. Ihnen geht es um Jobsicherheit, Krankenversicherung, Bildung für die Kinder. Mit Blick auf diese Wähler haben die Wahlkampfregisseure den Kandidaten ein neues Image verpasst: Die Elitejuristen Clinton und Obama treten plötzlich auf wie "Genossin Hillary" und "Kumpel Barack".

"Es wird Zeit für einen Präsidenten, der sich nicht gleich verschluckt, wenn er das Wort 'Gewerkschaft' ausspricht", sagt Obama. Clinton lässt sich von Fernsehkameras filmen, wie sie in einem Arbeiterlokal nicht nur vom örtlichen Bier kostet, sondern diesem gleich noch einen Schnaps hinterherkippt.

Wirtschaftspolitische Kehrtwende?
Seit fünf Wochen durchkreuzen die Kandidaten Pennsylvania und erleben Amerika von unten. Beide machen den Wählern dort Versprechen, die im Falle ihrer Umsetzung eine erhebliche wirtschaftspolitische Kehrtwende der USA bedeuten würden: Sie wollen eine nachträgliche Änderung des Nordamerikanischen Handelsabkommens (NAFTA), das im Zentrum des Unmuts der Arbeiter steht.

Das Abkommen von 1994 machte die USA und die Nachbarländer Mexiko und Kanada zur Freihandelszone. Seitdem verlegten viele Unternehmer ihre Fertigung vor allem ins viel billigere Mexiko. Arbeitnehmervertreter in den USA machen NAFTA für Jobverlust, sinkende Löhne und Sozialstandards verantwortlich.

Auf Distanz zum Ehemann
So weit geht das Werben um die Arbeiterstimmen, dass sich Clinton inzwischen sogar von ihrem Mann Bill distanziert, in dessen Präsidentschaft NAFTA in Kraft getreten war. "So klug mein Mann auch sein mag, manchmal macht er Fehler", sagte sie in Pennsylvanias Industriemetropole Pittsburgh.

Sie verspricht landesweit drei Millionen neue Industriejobs durch ein staatliches Infrastrukturprogramm. Obama wagt mehr Ehrlichkeit und sagt den Wählern, dass nicht alle Industriearbeitsplätze nach Pennsylvania zurückkommen werden: "Manche Entwicklungen der Wirtschaft lassen sich nicht mehr umkehren."

Offenheit hat noch nicht geholfen
Obamas Offenheit hat ihm bisher nicht geholfen, das Fremdeln der vornehmlich weißen Arbeiterschaft mit seiner Kandidatur zu überwinden. Favoritin dieser Klientel ist nach wie vor Clinton, die ihren Konkurrenten im Wahlkampf als elitär und abgehoben kritisiert.

Umfragen sagen ihr für Dienstag in Pennsylvania einen Sieg voraus, den sie gegen den in der Gesamtwertung führenden Obama dringend benötigt. Eine Niederlage in dem Staat kann sie sich nach übereinstimmender Einschätzung nicht erlauben: In diesem Fall wäre ihre Kandidatur wohl am Ende.

Peter Wütherich, AFP

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