In Europa hatten die Ereignisse vom 11. April weitreichende Folgen: Rudi Dutschke, die charismatische Symbolfigur der deutschen Studentenbewegung, wurde auf dem Berliner Kurfürstendamm niedergeschossen und lebensgefährlich verletzt. Dutschke erlag den Spätfolgen des Attentats elf Jahre später im Alter von 39 Jahren.
Die Schüsse auf Dutschke lösten (abgesehen von einem Arbeiteraufstand in Ostberlin 1953) die schwersten Straßenkrawalle in Deutschland seit der Weimarer Republik aus. Dennoch notierte Dutschke später nüchtern, das Attentat auf ihn sei "für viele Jugendliche kurzfristig mobilisierend und langfristig abschreckend" gewesen.
"Wissen Sie, wo Rudi Dutschke wohnt?"
Am 11. April, einem Gründonnerstag, traf der 23-jährige Gelegenheitsarbeiter Josef Bachmann mit dem Interzonenzug aus München auf dem Bahnhof Zoo in Berlin ein. Er hatte eine Pistole im Gepäck, Zeitungsschlagzeilen wie "Stoppt Dutschke jetzt!" und Plakate wie "Dutschke Volksfeind Nr. 1" im Kopf.
Von einem Taxifahrer ließ er sich mit der Frage "Wissen Sie, wo Rudi Dutschke wohnt?" zur Zentrale des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) am Kurfürstendamm 140 bringen.
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©Bild: APA/Chris Hoffmann |
Um 16.30 Uhr sah Bachmann dort einen Mann mit einem Damenfahrrad aus dem Haus kommen. Laut Gerichtsprotokoll kam es zu einem kurzen Wortwechsel: "Sind Sie Rudi Dutschke?" - "Ja."
Mit den Worten "Du dreckiges Kommunistenschwein!" schoss Bachmann aus eineinhalb Meter Entfernung mit einem Neun-Millimeter-Trommelrevolver dreimal auf den 28-jährigen Dutschke, der zuerst in die rechte Wange getroffen wurde.
Der "SDS-Ideologe", wie er von den Medien damals genannt wurde, stürzte vom Fahrrad und rief unter anderem: "Soldaten! Soldaten!" Bachmann legte noch einmal an und schoss Dutschke in die obere Kopfhälfte und in eine Schulter.
Dutschke fühlte sich sicher
Dutschke notierte nach seiner teilweisen Genesung, wie seine Frau Gretchen in ihrer Biografie "Wir hatten ein barbarisches, schönes Leben" festhält: "Im April 1968 auf dem Ku'damm zu warten war für mich ein gewisses Risiko. Aber die wahnwitzige Hetze war schon im März abgeflacht, und zum anderen hatte ich für Ho, unser Baby, was zu holen."
Die Proteste gegen eine andere Gewalttat, die tödlichen Schüsse eines Polizisten auf den Studenten Benno Ohnesorg bei einer Demonstration im Sommer 1967, hatten Dutschke zuvor zu einer deutschlandweit bekannten Symbolfigur gemacht. Unter anderem kampagnisierte die Axel-Springer-Presse ("Bild") gegen ihn. Dennoch sind die genauen Motive Bachmanns bis heute unklar.
Schwere Schädelverletzungen
Der 23-Jährige flüchtete nach dem Attentat in den Keller eines nahe gelegenen Neubaus und wurde nach einem Feuergefecht mit der Polizei schwer verletzt festgenommen. Er wurde ins Klinikum Westend gebracht, wo bereits sein Opfer stundenlang notoperiert wurde.
Der schwierigste Eingriff bei Dutschke war die Entfernung eines Projektils aus dem Schädel, das das Hirngewebe beschädigt hatte. Dutschke überlebte, litt aber an Sprach-, Lese- und Sehstörungen und schweren epileptischen Anfällen, von denen ihm einer am Heiligen Abend 1979 im dänischen Aarhus in der Badewanne auch zum Verhängnis werden sollte.
Aus den Hörsälen auf die Straße
Das Attentat entzündete das Pulverfass des damals gereizten Klimas zwischen rebellischer Jugend und "Establishment". Die Demonstranten, die seit Monaten lautstark auf den Straßen gegen den Vietnam-Krieg protestierten, wollten nicht mehr nur Hörsäle besetzen und Vorlesungen gegen den "Muff von tausend Jahren unter den Talaren" sprengen.
Der zunehmend gewalttätige Zorn richtete sich immer offener gegen alle Staatsgewalt und gegen einen Teil der Presse, vor allem den Axel-Springer-Verlag ("Enteignet Springer!"), dessen Auslieferungsfahrzeuge behindert oder in Brand gesetzt wurden. Zu den Ostertagen tobten Straßenschlachten. Die Polizei ging gegen die Demonstranten mit Schlagstöcken und Wasserwerfern vor.
"Kontakt mit Teilen der Jugend verloren?"
Ein Großteil der Bevölkerung war verwirrt und aufgeschreckt durch diese massive Protestwelle. Der damalige deutsche Bundespräsident Gustav Heinemann mahnte zur Besonnenheit, stellte aber auch die Frage, ob "wir Älteren den Kontakt mit Teilen der Jugend verloren haben oder ihr unglaubwürdig geworden sind".
Bachmann zeigte Reue
Bachmann sagte später vor Gericht: "Ich möchte darauf wetten, dass sich 70 Prozent der Bevölkerung im Stillen die Hände reiben über meine Tat."
Er selbst zeigte sich in einem Briefwechsel mit seinem Opfer reuevoll. Im März 1969 wurde er zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Nach mehreren Selbstmordversuchen erstickte sich Bachmann am 24. Februar 1970 mit einem Plastiksackerl in seiner Zelle.
Links:
- Rudi Dutschke (Wikipedia)
- Josef Bachmann (Wikipedia)