Von Viva in die "Feuchtgebiete"

"Alice Schwarzer soll aus meinem Schlafzimmer rausbleiben."
"Solange ich denken kann, habe ich Hämorrhoiden." Mit diesem Satz beginnt der Debütroman von Charlotte Roche. Neben Hämorrhoiden - Roches "Lieblingstabu" - geht es in "Feuchtgebiete" um Analfissuren, Masturbation und überhaupt alles, was mit Körperöffnungen zu tun hat. Vor allem mit weiblichen.

Das Buch handelt von der 18-jährigen Helen, die nach einer missglückten Intimrasur im Krankenhaus landet. Während sie auf den Besuch ihrer Eltern wartet, nimmt sie jene Bereiche ihres Körpers unter die Lupe, die gewöhnlich als "unmädchenhaft" gelten, und lässt den Krankenpfleger die Stellen fotografieren, die sich ihrem neugierigen Blick entziehen.

Nebenher pflegt sie ihre Sammlung von Avocadokernen, die ihr auch in sexueller Hinsicht wertvolle Dienste leisten.

"Vom echten Sex kann es nie genug geben"
Provokant rebelliert die 29-jährige Roche in "Feuchtgebiete" gegen den standardisierten Umgang mit dem weiblichen Körper und seiner Sexualität. Das Frauenbild, das in Werbung und Zeitschriften propagiert wird und von Heidi Klum und Paris Hilton verkörpert wird, widerstrebt Roche.

"Vom echten Sex, dem Sex, der riecht und schmeckt und schmutzige Geräusche macht, kann es nie genug geben", so Roche im Interview mit dem "Spiegel". Ein "Pin-up auf einem C&A-Plakat" ist aber ein Dorn im Auge der ehemaligen Viva-Moderatorin, die mit dem Label "Feministin" kein Problem hat.

"Ein Porno? Das wäre schön"
Ursprünglich hätte "Feuchtgebiete" im Verlag Kiepenheuer & Witsch erscheinen sollen. Dieser sah schließlich von der Veröffentlichung ab. Begründung: Das Buch sei pornografisch. "Vielleicht ist das Buch wirklich ein Porno geworden", so die Autorin, "das wäre schön."

Der Roman, nun im DuMont-Verlag erschienen, erregte in Deutschland einiges Aufsehen. Skandalautorin möchte Roche dennoch nicht genannt werden - denn das klinge "gefährlich nach Eva Herman".

"Weibliche Flüssigkeiten"
Vorwürfe, sie wolle mit ihrem Buch nur provozieren oder habe den Tabubruch sogar gezielt mit einem Literaturagenten geplant, will die Grimme-Preis-Trägerin nicht hören. Sie schreibe über ihre ureigensten Themen; über das, was sie wirklich etwas angehe. Und das seien nun einmal "weibliche Flüssigkeiten und betörende Gerüche".

Der Frau, die vor Jahren Robbie Williams in einem Interview mit der Frage, ob er sein eigenes Sperma schlucke, aus der Fassung brachte und mit Lesungen über "Penisverletzungen bei Masturbation mit Staubsaugern" auf Tour ging, ist man versucht zu glauben.

Von Vanillekipferl und Perlenrüssel
Schlüsselthema in "Feuchtgebiete" ist die Tatsache, dass Frauen - wie Roche meint - zu wenig über ihre Sexualität redeten. Sie werde mit zunehmendem Alter ein immer größerer Fan von Männern, so die Autorin im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung". Die hätten, im Gegensatz zu den meisten Frauen, für alles Wörter und würden Fantasien kultivieren.

Beim Schreiben des Buches habe sie für die Einzelteile des weiblichen Geschlechts erst mühsam Wörter suchen müssen. "Vanillekipferl", "Hahnenkämme" und "Perlenrüssel" sind nur einige der Ergebnisse von Roches Suche.

"Schwarzer muss mich nicht retten"
Die junge Deutsche gilt seit einigen Jahren als Symbolfigur für einen neuen, jungen Feminismus. 2001 zierte sie das Cover der "Emma". Alice Schwarzer sieht Roche allerdings nicht mehr als Vorbild für junge Feministinnen: Sie werde dem Menschen in der Frau nicht mehr gerecht, so Roche.

Kein gutes Wort hat sie auch für Schwarzers Anti-Porno-Kampagne über. Diese sei schlichtweg "prüde", so Roche im Interview mit dem "Tagesspiegel". "Alice Schwarzer soll aus meinem Schlafzimmer rausbleiben. Wenn ich eine selbstbewusste Frau bin, die sich im Bett gerne erniedrigen lässt, muss sie mich nicht davor retten."

Madonna "erbärmlich", Merkel "falsche Partei"
Madonna, die wie keine andere für Hedonismus und Materialismus als Teil der Selbstverwirklichung der Frau steht, scheidet für Roche ebenso aus: "Es hat etwas Erbärmliches, wenn eine Frau mit 50 sich an die Jugend klammert."

Auch Angela Merkel tauge nicht als Vorbild für junge Frauen. Dazu sei die deutsche Kanzlerin "einfach in der falschen Partei", so Roche - "Feminismus ist nicht farbenblind".

Eine Heldin hat Roche dennoch: "Maude" aus dem 1971er-Film "Harold und Maude" - eine "80-jährige radikale Kämpferin mit langen Haaren", die eine Affäre mit einem Teenager hat.

"Queen of German Pop Television"
Roche wurde in den 90ern als Moderatorin der Viva2-Sendung "Fast Forward" bekannt. Der "Spiegel" nannte sie damals "richtungsweisend", Harald Schmidt erhob sie gar zur "Queen of German Pop Television".

Als Moderatorin war die 29-Jährige unter anderem für Viva, arte, den ZDF und ProSieben tätig. Für ihre Arbeit wurde sie mit dem Grimme-Preis und dem Bayeri­schen Fernsehpreis aus­gezeich­net.

Roche ist verheiratet und hat eine fünfjährige Tochter. Ihr Mann sei selbst Feminist, so Roche, und backe wie eine Weltmeisterin.

Buchhinweis
Charlotte Roche: Feuchtgebiete. DuMont Verlag, 220 Seiten, 15,32 Euro.

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