Bertrand Cantat, ihr eifersüchtiger Liebhaber und Sänger der französischen Post-Punk-Band Noir Desir mit ihren dunklen, gesellschaftskritischen Texten, hat mehrmals zugeschlagen, immer ins Gesicht.
Trintignant fällt im Bett ins Koma. Cantat will es nicht bemerkt haben, er schläft neben ihr ein. Später stirbt sie im Krankenhaus. Cantat wird wegen Totschlags zu acht Jahren Haft verurteilt. Das klingt nach einem französischen Autorenkinokrimi mit feiner Noir-Desir-Musikuntermalung.
Der Film im Roman
Dass sich mit dem 40-jährigen Albert Ostermaier ausgerechnet ein (deutscher) Theaterautor und Lyriker des Stoffs annimmt und seinen ersten Roman schreibt, ist erstens dennoch schlüssig und wirkt sich zweitens auf die Erzählweise des Buches aus.
Denn Ostermaier zeigte schon als Lyriker Interesse an filmischen Ausdrucksmitteln, lotete etwa in den Gedichtbänden "Autokino" und zuletzt "Polar" verschiedene Schnitttechniken aus und beschäftigte sich intensiv mit dem Film noir. "Zephyr", so heißt das Buch, das dieser Tage bei Suhrkamp erschienen ist, legt er folgerichtig als Drehbuch an - zum Teil.
Ostermaiers Babuschka-Technik
Genauer gesagt bedient er sich einer Technik, die an russische Matrjoschka-Puppen (früher "Babuschka" genannt) erinnert: Ostermaier schreibt einen Roman über einen Film, der von einem Film über einen Kriminalfall handelt.
In der sparsam eingesetzten Rahmenhandlung erzählt Ostermaier von Gilles, der an einem Drehbuch arbeitet, das er einem Produzenten verkaufen will. Der Inhalt von Gilles Film: Ein Autor, der wie er selbst Gilles heißt, schreibt ein Drehbuch über die Cantat-Trintignant-Tragödie.
Versicherung ...
Diese - auch beim Lesen des Romans - überkomplex anmutende Struktur verschafft Ostermaier verschiedene Freiheiten. Erstens kann er so seine umfangreichen Recherchen über das reale Eifersuchtsdrama unbesorgt mit Fiktion verbinden. Vorsicht ist geboten, schließlich lebt Cantat noch, er wurde im Vorjahr wegen guter Führung aus dem Gefängnis entlassen.
Zweitens kann Ostermaier so über das Medium Film reflektieren - inhaltlich wie formal: inhaltlich, indem er im Leben jenes Gilles, über den der andere Gilles schreibt, Jacques Derays Streifen "Swimmingpool" spiegelt (1969, mit Alain Delon und Romy Schneider); formal durch das Changieren zwischen den verschiedenen Ebenen mittels Überblendungen und scharfer Schnitte.
... und Rückversicherung
Für den Leser bleibt diese Konstruktion bis zur Hälfte des Romans ein schwer zu durchdringendes Verwirrspiel. Die Geschichte zwischen Trintignant und Cantat wird in Dialogen erzählt, in einem inneren Monolog Cantats und in der Wiedergabe von Zeugenaussagen.
Die Geschichte von Gilles, der sein eigenes Eifersuchtsdrama erlebt, wird ebenfalls dialogisch und als Bewusstseinsstrom wiedergegeben. Beide Storys überlagern sich, gehen ständig nahtlos ineinander über. Als gemeinsame Klammer umfassen Ostermaiers melodramatische Poesie und seine psychologisierenden Schilderungen des Wahnsinns Eifersucht beide Ebenen.
Die dritte Ebene gibt Ostermaier die Möglichkeit, diese ganze Konstruktion einer Bedienungsanleitung gleich zu argumentieren, indem Gilles - also der Erzähler der beiden anderen Ebenen - sie seinem Produzenten erklärt.
"Der Wind wird uns tragen"
Hart an der Story hält Ostermaier den Leser durch die Übernahme des "Swimmingpool"-Plots. Denn im Umfeld von Gilles, der den Film über die Trintignant-Affäre dreht, verschwinden Personen. Hat er sie ermordet? Ein Kommissar ermittelt - wie in Derays Streifen. Die Auflösung zögert Ostermaier hinaus.
Ein weiterer Reiz liegt im Aufschlüsseln der zahlreichen Anspielungen. Überall schließen sich Kreise. "Zephyr" etwa ist der griechische Gott des Westwindes. Immer wieder webt der Autor Textzeilen von Noir Desir ein, ohne sie als solche auszuweisen, allen voran von dem Lied "Le vent nous portera" ("Der Wind wird uns tragen").
Ostermaier greift Cantats beinahe kitischige Poesie auf und macht sie sich über weite Strecken zu eigen, vor allem im ersten, weniger zugänglichen Teil des Buches. Später wird die Story stringenter, gibt der Handlung Vorzug gegenüber der Lyrik, die Geschichte gewinnt an Fahrt.
Banale Kritik
Nichtsdestotrotz hätte Ostermaier die Trintignant-Cantat-Tragödie auch einfacher erzählen können, ohne auf den Anspielungsreichtum zu verzichten. Zumindest die dritte Ebene - der Erzähler, der über den Erzähler erzählt - wäre verzichtbar gewesen.
Da hilft auch die gleich mitgelieferte Kritik nichts. Als Gilles, also - man muss es immer wieder erklären - der, der über den ganzen Rest berichtet, dem Produzenten sein Drehbuch präsentiert hat, sagt dieser:
"Was ist in Sie gefahren? Das ist ein Labyrinth und kein Film, ich weiß überhaupt nicht, was das sein soll, auf jeden Fall kein Drehbuch!" Damit wollte Ostermaier wohl entsprechende Kritik an seinem Buch als banal dekuvrieren.
Simon Hadler, ORF.at
Buchhinweis
Albert Ostermaier: Zephyr. Suhrkamp, 222 Seiten, 18,30 Euro.
Links:
- Zephyr (Suhrkamp)
- Der Fall Bertrand Cantat ("Süddeutsche Zeitung")
- Rocksänger Cantat vorzeitig wieder frei (ORF.at)
- Bertrand Cantat (Wikipedia)
- Marie Trintignant (Wikipedia, englisch)