Neues Licht auf den Mythos eines Genies

Starrköpfiger und geldgieriger Eigenbrötler: Forcellino wirft neues Licht auf den Mythos Michelangelo.
Wäre es nach den Wünschen seines Vaters gegangen, so hätte Michelangelo Buonarroti (1475-1564) als Kaufmann, Bankier oder Geldwechsler die Familientradition hochhalten und zu neuem Glanz bringen sollen.

Da sich die Familie aber eine ihrem Stand entsprechende Ausbildung schlichtweg nicht leisten konnte, wurde der junge Michelangelo in die Lehre eines Bildhauers geschickt. Dort erkannte er schon bald sein Ausnahmetalent und startete eine beispiellose Künstlerkarriere.

Unter dem Titel "Michelangelo. Eine Biografie" unternimmt Antonio Forcellino den Versuch, sich dem Genie Michelangelo zu nähern und einen neuen Blick auf das schaffens- und konfliktreiche Leben des zum Mythos gewordenen Künstlers zu werfen.

Chefrestaurator von Michelangelos "Moses"
Im Gegensatz zu zahllosen Wissenschaftlern und Gelehrten, die sich am "wirkmächtigsten Künstler der Menschheit" (Gustav Seibt) versuchten, kann Forcellino neben seinen fundierten Kenntnissen als Kunsthistoriker auf ein ganz spezielles Naheverhältnis zu Michelangelos Werk verweisen.

©Bild: AP/Handout
©Bild: AP/Handout
Als vielbeachteter Chefrestaurator des "Moses" durfte er jede Fuge eines der zentralen Werke Michelangelos und dadurch wie kaum ein anderer auch dessen Arbeitsweise kennenlernen - darunter etwa Michelangelos Fähigkeit, die Form einer Marmorskulptur im bereits weit fortgeschrittenen Stadium noch wesentlich zu verändern.

©Bild: APA/Marco Bucco
©Bild: APA/Marco Bucco
Unter Beweis stellte Michelangelo das etwa, als er mit gerade 26 Jahren aus jenem sechs Meter hohen Marmorblock noch die Monumentalfigur des "David" herausholte, an dem zuvor gleich mehrere der besten Bildhauer kläglich gescheitert waren.

Geldgieriger Eigenbrötler
Der bereits zu Lebzeiten zum Mythos gewordene Michelangelo entpuppt sich in Forcellinos Biografie aber auch als starrköpfiger und geldgieriger Eigenbrötler.

Auch war er sich seines Talents durchaus bewusst und ließ sich seine Dienste mehr als fürstlich entlohnen - ungeachtet dessen, dass so mancher Auftrag nicht vollendet und Verträge nicht eingehalten wurden.

Tragödie seines Lebens
Exemplarisch dafür steht der Auftrag für das Grabmal von Papst Julius II. Dieser zog sich wie ein roter Faden durch Michelangelos Leben und wurde vom Künstler selbst als Tragödie seines Lebens bezeichnet.

Erstreckte sich die Ausführung des ersten Großauftrags von Michelangelo, dessen Talent bereits in der Ausbildungszeit die Aufmerksamkeit der Mächtigen auf sich zog, doch über mehr als 40 Jahre seines Lebens.

Weltliche Interessen
Hintergrund dafür war neben den Wirren der Zeit nicht zuletzt Michelangelos unstillbarer Schaffensdrang. Dieser brachte den Künstler nicht selten bis an seine physischen Grenzen, etwa bei der Neugestaltung der Decke der Sixtinischen Kapelle, die Michelangelo nahezu parallel zum Julius-Grabmahl anging.

Angetrieben wurde der Künstler dabei laut Forcellino, der hier wie etwa auch in Hinblick auf Michelangelos Homosexualität wenig Respekt vor dem rastlosen Genie zeigt, durchaus von weltlichen Begierden. Zu lukrativ waren die zahlreichen Aufträge, auch wenn Michelangelo immer abstritt, mit seiner Kunst Geschäfte machen zu wollen.

Denn auch wenn Michelangelo in bescheidenen Verhältnissen zu leben pflegte, sammelte er im Laufe seines langen Lebens große Reich- und Besitztümer an. Mit diesen wollte er nicht zuletzt den Status seiner ins Abseits geratenen Familie wiederherstellen, zu der er - wie zu vielen seiner Gönner, Auftraggeber und Gehilfen - ein schwieriges Verhältnis pflegte.

Konflikt mit Kirche und Medici
Dafür sorgten auch Michelangelos politische Ansichten, etwa das offene Eintreten für die Republik in Florenz, das zu ernsthaften Konflikten mit der mächtigen Familie der Medici führte. Nichtsdestotrotz wurden sie Michelangelos eifrigste Förderer - darunter mit gleich mehreren Päpsten auch im Namen der Kirche.

Dieser wiederum war nicht nur Michelangelos provokante Umsetzung religiöser Szenen ein Dorn im Auge, sein Naheverhältnis zu reformorientierten Kreisen rief auch die Inquisition auf den Plan.

Unverzichtbares Talent
Durch Flucht ins Exil und die schützende Hand einflussreicher Gönner, in erster Linie aber dank seines Ausnahmekönnens blieb Michelangelo das Schlimmste erspart.

So kam es, dass selbst Papst Paul IV., unter dem die Kirche im Kampf gegen die Ketzerei einen ihrer Höhepunkte erlebte, nicht auf die Dienste des streitbaren und bereits greisen Künstlers verzichten wollte.

Bau des Petersdoms
Denn obwohl die kirchliche Zensur auch vor Michelangelos Werken wie dem "Jüngsten Gericht" nicht haltmachte, erwartete sich der Vatikan von ihm nichts weniger, als den ins Stocken geratenen Bau des Petersdoms entscheidend voranzutreiben.

Talent sei die einzige Tugend, die nicht mit Gewalt aus einem Menschen herauszuholen sei, zitiert Forcellino in diesem Zusammenhang Papst Paul III., der trotz Kenntnis von Michelangelos kritischer Haltung zur Amtskirche erkennen musste, dass niemand anderer für die Leitung von Italiens größter Baustelle infrage kam.

Buchhinweis
Antonio Forcellino: Michelangelo. Eine Biografie. Siedler Verlag, 400 Seiten, 25,70 Euro.

Peter Prantner, ORF.at

Link: