Freie Hand in der Papst-Kapelle

Michelangelo wollte Auftrag zunächst nicht annehmen.
Kein anderes Werk des Florentiner Renaissancekünstlers Michelangelo Buonarroti (1475-1564) ist so oft kommentiert, dokumentiert und wohl auch von Besuchermassen mit Staunen bewundert worden wie die Deckenfresken in der Sixtinischen Kapelle.

©Bild: Sixtinische Kapelle/Rom, Vatikan
©Bild: Sixtinische Kapelle/Rom, Vatikan

Dabei hielt Michelangelo ursprünglich
offenbar wenig von dem prestigeträchtigen Auftrag, den er im Frühjahr vor 500 Jahren von Papst Julius II. (1443-1513) erhalten hatte.

Nur der Hartnäckigkeit des Kirchenoberhaupts ist es zu verdanken, dass Michelangelo schließlich doch den Vertrag für das mit 3.000 Dukaten dotierte Mammutprojekt unterschrieb, wie aus einem regen Briefverkehr zwischen den beiden hervorgeht.


"Nicht mein Metier"
Offen bleibt nicht nur, wieso Julius II. trotz handfester Streitigkeiten über einen bereits zuvor erteilten und von Michelangelo immer wieder verzögerten Großauftrag (das Juliusgrab) weiterhin am eigenwilligen Künstler festhielt. Auch über Michelangelos nur widerwillige Zustimmung gibt es unterschiedliche Ansichten.

Zum einen soll der Künstler Bedenken wegen seiner fehlenden Praxis in der aufwendigen Freskenmalerei gehabt haben.

Den Papst ließ er jedenfalls wissen, dass er sich als Bildhauer und nicht als Maler sehe. Seinem Vater schrieb er 1509 in einem Brief, dass das nicht sein Metier sei und er eigentlich nichts in der Sistina zu suchen habe.

Auftrag als "Künstlerfalle"?
Giorgio Vasari (1511-1574) berichtet - ähnlich wie zuvor bereits Ascanio Condivi (1525-1574) - in seiner Michelangelo-Biografie zudem von einer möglichen Intrige durch Künstlerkollegen, die sich von einem Scheitern Michelangelos persönliche Vorteile erhofften.

Eine tragende Rolle sollen der für den Vatikan tätige Architekt Donato Bramante (1444-1514) und dessen Schützling, der unter dem Namen Raffael bekanntgewordene Maler Raffaello Sanzio (1483-1520), gespielt haben, die in Erwartung des sicheren Scheiterns Michelangelo den Auftrag zugeschanzt haben sollen.

"Hang zum Lamentieren"
Eine These, die zuletzt vom Kunsthistoriker Frank Zöllner angezweifelt wurde. Anhand der vorliegenden Dokumente könne demnach keine Rede von einer Verschwörung gegen Michelangelo durch dessen schärfste Konkurrenten am Papst-Hof sein. Nicht ausgeschlossen sei vielmehr, dass der mutmaßliche Bösewicht Bramante Michelangelo sogar zu fördern versuchte.

Michelangelos Widerwille gegen den Auftrag sei laut Zöllner vielmehr in dessen Hang zum Lamentieren zu suchen, so der Kunsthistoriker in dem kürzlich im Taschen Verlag erschienenen Prachtband "Michelangelo. Das vollständige Werk".

Das rund neun Kilo schwere und 29 mal 44 Zentimeter große Mammutwerk bietet, nicht zuletzt wegen seiner Ausmaße, neben einem bisher wohl einzigartigen Blick auf Michelangelos Schaffen auch einen umfassenden Einblick in den aktuellen Forschungstand.

Über 500 Quadratmeter
Laut Zöllner hatte der damals erst 33-jährige Michelangelo vor dem bevorstehenden Projekt der Superlative wenig Respekt gezeigt und den ursprünglichen Entwurf für die mehr als 500 Quadratmeter große Fläche als "arm" abgeschmettert.

Der Auftrag wurde daraufhin geändert, wobei Michelangelo später angab, die Änderungen selbst vorgeschlagen und dann völlige Gestaltungsfreiheit bekommen zu haben.

Eine Behauptung, die vom größten Teil der Forscher, die einen theologischen Berater hinter der Motivwahl vermuten, in Zweifel gezogen, von Zöllner aber als "im Kern" zutreffend bezeichnet wird.

"Sehr gewagt"
Dem Künstler freie Hand in der Papst-Kapelle und somit einem zentralen Sakralbau der katholischen Kirche zu überlassen sei zwar "sehr gewagt" gewesen.

Da das Programm aber im Wesentlichen auf der Heiligen Schrift beruht, könne dieses laut Zöllner sehr wohl auf den "individuellen Gestaltungswillen" des Künstlers zurückzuführen sein.

Und so nahm selbst an diesem symbolträchtigen Ort niemand mehr Anstoß daran, dass "die Propheten der Bibel neben den Sibyllen der antiken Literatur auf ihrem Marmorthron saßen", wie der Renaissanceforscher Antonio Forcellino in seiner vielbeachteten Michelangelo-Biografie feststellte.

18.000 Besucher täglich
©Bild: Reuters/Pool New
©Bild: Reuters/Pool New
Im Oktober 1512 vollendete Michelangelo schließlich die von zahlreichen Mühen begleitete Arbeit und stellte in einem Schreiben an seinen Vater lapidar fest, dass der Papst zufrieden sei.

Dabei hatte sich Michelangelo nun auch als Maler ein - 24 Jahre später mit dem Jüngsten Gericht an der Westwand der Sixtinischen Kapelle erweitertes - Denkmal gesetzt, das noch heute bis zu 18.000 Rom-Besucher täglich in seinen Bann zieht.

Buchhinweise
Frank Zöllner, Christof Thoenes, Thomas Pöpper: Michelangelo. Das Gesamtwerk. Taschen Verlag 2007, 768 Seiten, 150 Euro.

Antonio Forcellino: Michelangelo. Eine Biografie. Siedler Verlag 2006, 400 Seiten, 25,70 Euro.

Peter Prantner, ORF.at

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