Cronenberg setzt Maßstäbe

In "Eastern Promises" arbeitet der Kultregisseur erneut mit Viggo Mortensen zusammen.
Männer kämpfen - das ist im Kino normal. Aber wenn zwei Männer in einem Dampfbad verbissen miteinander ringen, nackt, wortlos, aus immer mehr Wunden blutend und minutenlang immer wieder nur einen Reflex vom Tod entfernt, dann sprengt das den Rahmen des Üblichen.

Der Regisseur David Cronenberg hat mit seinem neuen Lieblingsstar Viggo Mortensen in "Tödliche Versprechen - Eastern Promises" einen archaisch anmutenden Urkampf inszeniert, der neue Maßstäbe bei Körpereinsatz, Dramatik und - der Geschichte angemessener - Gewalt im Kino setzt.

Brutale Geschäftspraktiken
"Die Gewalt ist nicht religiös, nicht politisch, nicht einmal sadistisch", sagt Cronenberg über die Brutalität seiner Charaktere, die einer russischen Mafia-Bande entstammen. "Gewalt gehört einfach zum Geschäft."

Dass diese Geschäftspraktiken aber Menschen deformieren, Familien zerstören und unendliches Leid über andere bringen - das zeigt er in seinem faszinierenden Thriller auch.

Moderne Sklaverei
"Eastern Promises" spielt in London. In einem Krankenhaus stirbt eine blutjunge Mutter bei der Geburt ihres Kindes. Die Hebamme Anna, gespielt von Naomi Watts, will nach Angehörigen des Babys suchen und rutscht ahnungslos in ein Dickicht aus Menschenhandel, Prostitution und moderner Sklaverei.

Ein in russischer Sprache geschriebenes Tagebuch der Mutter liefert ihr erste Hinweise, dann bringen die Aufzeichnungen Anna selbst in Lebensgefahr.

Beängstigend freundlich
Der gemütliche Besitzer eines russischen Restaurants in London bietet Unterstützung an. Armin Mueller-Stahl spielt den Patriarchen mit beängstigender Freundlichkeit, gelassen und zugleich extrem gefährlich.

Zu spät wird Anna klar, dass dieser nette alte Herr als Oberhaupt eines Mafia-Clans mit seinem Sohn (Vincent Cassel) zu den Tätern gehört, dass er russische Mädchen unter falschen, tödlichen Versprechen nach London lockt.

Mortensens Spiel mit dem Körper
Mortensen kommt als Fahrer und Begleiter des emotional labilen Patriarchensohnes ins Spiel und dominiert jede Szene: Vollkommen ruhig, jede Faser seines Gesichts kontrolliert, die Hände locker vor dem Bauch verschränkt, verkörpert er eine Art beherrschter Bereitschaft, auch die schrecklichsten Aufträge mit geschäftsmäßiger Sorgfalt zu erledigen.

Dass dieser Mann viel mehr ist als nur ein Handlanger des Bösen, spürt auch die Hebamme Anna, die sich von ihm merkwürdig angezogen fühlt.

Das klingt nach einem klassischen Thriller - wäre da nicht Cronenberg, der Meister der Beunruhigung. Früher galt er mit "Die Fliege" und "Crash" als Experte für künstlerische Horrorfilme, jetzt sind seine Arbeiten zugänglicher geworden.

Geheimnisvolle Tätowierungen
Seine Grundthemen - etwa die Verformung von Körpern - tauchen nach wie vor auf, wenn auch verschlüsselter. In "Eastern Promises" spielen Tätowierungen eine große Rolle. Er habe sich mit den Tätowierungen einer bestimmten russischen Mafia-Gruppe beschäftigt, deren Symbolik bis in die Zarenzeit zurückgehe, so Cronenberg.

"Die Tätowierungen sind das Familienzeichen dieser Gruppe. Ohne gehört man nicht dazu. Aber mit den Tattoos zeigt man ehrliche und ernsthafte Bindung. Das ist eine Bindung, eine Verpflichtung des Fleisches, die man nie loswerden kann."

Starke Nerven
Cronenberg öffnet mit "Eastern Promises" ein Fenster in eine verstörende, unbekannte Welt, in der eigene Gesetze zu gelten scheinen. Nach "A History of Violence" ist ihm erneut ein kluger und spannender Film gelungen, dessen Brutalität zwar starke Nerven erfordert, aber niemals zum Selbstzweck wird.

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