![]() |
©Bild: Reuters/Parth Sanyal |
Friedhöfe werden geplündert
Tausende Skelette aus armen Regionen in Westbengalen - Kalkutta ist die Hauptstadt des indischen Bundesstaates - werden trotz des gesetzlichen Verbots jedes Jahr in die Stadt geschleust und in den Westen versandt, wie die Website des US National Public Radio (NPR) nun berichtet. Und auch vor der Plünderung der Friedhöfe in Kalkutta schreckt man nicht zurück.
Von den Briten "erfunden"
Seit rund 200 Jahren läuft das große Geschäft mit den Knochen in Kalkutta. Angefangen hatte es unter der britischen Kolonialherrschaft.
Die Friedhöfe in Großbritannien waren bereits geplündert und der Bedarf an Skeletten riesig. So kam man auf die Idee, Skelette aus Indien für die wichtigen Medizinschulen und -institutionen zu importieren.
Kinderskelette besonders teuer
Gerüchteweise sollen die Knochenräuber von Kalkutta sogar vor Morden an Bettlern und Unterstandslosen nicht zurückschrecken.
Auch einige Morde an Kindern in den letzten Jahren sollen auf das Konto der Knochenräuber gehen. Skelette von Kindern sind auf dem Weltmarkt selten und bringen dementsprechend viel Geld auf dem Schwarzmarkt.
Millionengeschäft nun auf dem Schwarzmarkt
Die "Knochenindustrie" war in Indien bis weit in die 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts ein Multimillionen-Dollar-Geschäft. Tausende Skelette und Knochen fanden ihren Weg in den Westen.
Der Einbruch kam mit der Gesetzesänderung Mitte der 80er Jahre. Das Geschäft wurde auf den Schwarzmarkt gedrängt. Doch Vergehen wurden von den indischen Behörden kaum bis gar nicht verfolgt.
Behörde drückt Auge zu
Man sieht das Geschäft mit den Knochen zwar als ernsthaftes Verbrechen, doch bisher drückt die Behörde meist ein Auge zu.
Leichen stanken kilometerweit
Hin und wieder kommt es zu Festnahmen. So beschwerten sich etwa Anrainer über den Verwesungsgeruch, der fast kilometerweit zu riechen war - er kam von Hunderten von Leichen und Leichenteilen, die auf dem Gelände einer Firma mehr oder weniger sortiert herumlagen.
Gute politische Verbindungen
Die Polizei kam und beschlagnahmte die "Ware". Rund fünf Lkws konnten damit "gefüllt" werden, so die Polizei. Der Chef der Firma wurde verhaftet, kam aber aufgrund seiner politischen Verbindungen nach einem Tag wieder frei. Sonst gab es keine Konsequenzen.
Leichenschänder verplapperten sich
Ein weiterer Fall von jahre- oder gar jahrhundertealtem Leichenraub wurde in einem kleinen Dorf in Westbengalen bekannt.
Zwei Leichenräumer einer dort Ansässigen Knochenfirma verplapperten sich bei einem Besäufnis. Sie sagten, dass sie regelmäßig den Friedhof des Dorfes plünderten. Sie wurden von der aufgebrachten Menge zur Polizeistation gebracht.
Werbung mit Katalog
Bei aller Illegalität werben einige Firmen wie etwa Young Brothers auch weiterhin mit ihren Angeboten in Katalogen und bedienen so die internationale Kundschaft, wie eine Reportage in dem US-Magazin "Wired" enthüllt.
Von Fischen abgeknabbert
Die Arbeit in den "Knochenfabriken" ist hart. "Sie fischen die Leichen aus dem Fluss, rauben sie aus Gräbern oder bestechen Mitarbeiter von Leichenhallen", so eine ehemalige Angestellte der Young Brothers.
Wenn die oftmals gestohlenen Leichen aus der Provinz in dem Betrieb eintreffen, werden sie vom Fleisch befreit. Teils passiert das im Fluss: Die Leichen werden in Moskitonetze gehüllt und im Wasser befestigt. Fische und Bakterien erledigen dann den Rest.
Auf den Dächern gebleicht
Den angelieferten Leichen oder Knochen wird teils händisch das Gewebe entfernt. Dann kommen die Überreste in Kessel mit kochendem Wasser, und anschließend werden die letzten Fleischreste mit Säure entfernt. Das färbt die Knochen meist gelb.
Um das Skelett schließlich zu weißen, werden die Knochen wochenlang auf den Dächern in der Sonne gebleicht. Die Skelette aus Indien sind für ihre Qualität bekannt und auf dem Weltmarkt heiß begehrt, so "Wired".
Harvard hat's gern echt
Medizinstudenten auf der ganzen Welt sind von genauen Anatomiekenntnissen abhängig, und diese bekommt man am besten über ein echtes Skelett, so NPR.
Bei den Nachbauten aus Plastik hingegen gibt es einige Schwierigkeiten. Modelle aus Plastik zeigten immer nur ein und dasselbe Muster, wird Samuel Kennedy in "Wired" zitiert. Kennedy ist zuständig für die Anatomieeinkäufe der weltbekannten Harvard Medical School.
"Details nicht erkennbar"
Studenten würden so nie die Unterschiede bei Individuen kennenlernen, und diese seien schließlich für die Mediziner wichtig. Auch seien die Plastikskelette in den Details alles andere als akkurat, so Kennedy weiter. Die Details verlören sich bei dem Prozess des Abdrucks. Echte Skelette seien deshalb nicht wirklich zu ersetzen.
Andere Experten widersprechen vehement. Auch an den Plastikskeletten könne man genug lernen. Wiederum andere Mediziner plädieren für legale Skelette.
Behörden wollen Öffentlichkeit sensibilisieren
In Indien wollen die Behörden nun mehr auf die Illegalität der Knochenbetriebe hinweisen und die Öffentlichkeit sensibilisieren. Denn das Verbot nütze nichts, wenn die Gesellschaft nicht die Ernsthaftigkeit des Problems erkenne.
Links:
- NPR-Bericht
- "Wired"-Artikel
- Kalkutta (Wikipedia)