Der Meister der Antihelden

Vor 150 Jahren wurde Joseph Conrad geboren.
Er war Seemann und Waffenschmuggler, Weltbürger und Außenseiter, Englisch war seine dritte Sprache, und er schrieb modernistische Klassiker im Gewand deftiger Abenteuergeschichten.

Joseph Conrad, britischer Schriftsteller mit polnischen Wurzeln, gilt als einer der wichtigsten Erneuerer der englischen Literatur zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Als Vorlage für "Apocalypse Now" ging seine Erzählung "Herz der Finsternis" (neu übersetzt gerade bei S. Fischer erschienen) auch in die Filmgeschichte ein.

Düster und voller Skepsis
Rund um seinen 150. Geburtstag bleibt eine Wiederentdeckung in größerem Stil aber aus. Liegen mag das an seinen skeptischen, düsteren, unsentimentalen Texten, die Camus' Existenzialismus vorwegnahmen, und an seiner komplexen, etwas verschrobenen Sprache.

Conrads abenteuerliche Lebensgeschichte schärfte seinen kritischen Blick auf Europas Selbstverständnis. Er wurde am 3. Dezember 1857 als Jozef Theodor Konrad Korzeniowski in der Ukraine geboren. Sein Vater war ein politisch engagierter Schriftsteller, der wegen seiner Haltung gegen das Zarenreich aus Polen verbannt worden war.

Der Lockruf der See
Im Jahre 1874 ging Conrad nach Marseille, um nicht in die zaristische Armee verpflichtet zu werden. Dort heuerte er auf einem Segelschiff Richtung Martinique und Haiti an.

Später schmuggelte er entlang der spanischen Küste Waffen für die Carlisten. Nach einem misslungenen Selbstmordversuch im Frühjahr 1878 schloss er sich der britischen Handelsmarine an und bereiste Australien, Thailand und Indien.

Reise ins "Herz der Finsternis"
Besonders einflussreich für Conrads weiteres Leben war eine Reise im Jahr 1889. Als Kapitän eines Dampfschiffes fuhr er den Kongo hinauf und erlebte die Realität der afrikanischen Kolonien aus erster Hand. Die Erfahrungen jener Reise veränderten nicht nur seine Einstellung gegenüber seiner eigenen Tätigkeit, sie sollten auch bestimmend sein für einen großen Teil seines späteren literarischen Schaffens.

Conrad verarbeitete die Reise am eindringlichsten in der Erzählung "Herz der Finsternis" aus dem Jahre 1902. Sie gilt als bedeutendste literarische Warnung vor den Folgen des Imperialismus im Britischen Empire der Jahrhundertwende.

Gebrochenes Weltbild
Conrad war ein Meister darin, Zeitebenen und Erzählperspektiven zu manipulieren. Einzelne Figuren und die Idee der literarischen Figur an sich lagen ihm selten am Herzen; er arbeitete stets mit Antihelden und wollte immer aus dem größtmöglichen Kontext heraus erzählen.

"So konnte er ein wahrhaft demokratisches, multikulturelles Weltbild entwerfen, das seinem eigenen, gebrochenen Selbstbild entsprach", schrieb der Autor Giles Foden ("The Last King of Scotland") jüngst im "Guardian". Daher gehe auch der in den letzten Jahren mehrfach geäußerte Vorwurf des Rassismus, vor allem im "Herz der Finsternis", ins Leere.

Außenseiter und Gestrandete
1895 gab Conrad die Seefahrt auf und widmete sich in London ausschließlich dem Schreiben. Noch im gleichen Jahr erschien sein erster Roman, "Almayers Wahn". Meist an exotischen Schauplätzen angesiedelt oder von Seeabenteuern berichtend, schildern seine Romane und Erzählungen Schicksale von Außenseitern und Gestrandeten, denen die Rückkehr ins bürgerliche Leben verwehrt bleibt.

Die häufig düsteren Erzählungen zeigen schonungslos die Schwächen und Fehler von Repräsentanten der europäischen Kultur und Moral, die sich für die Herren der Welt halten. Auch in "Der Geheimagent" aus dem Jahre 1907, einem der wenigen Romane, die Conrad in Europa ansiedelte, sparte er nicht mit beißender Gesellschaftskritik.

Neue Biografien
Pünktlich zum 150er sind bei Fischer eine neue, vom Leipziger Literaturwissenschaftler Elmar Schenkel verfasste Biografie ("Fahrt ins Geheimnis - Joseph Conrad"), eine Neuübersetzung von "Herz der Finsternis" und zwei weiteren Erzählungen sowie ein Paperback-Lesebuch erschienen.

Der britische Conrad-Experte John Stape hat seine Arbeit ebenfalls zu einer umfangreichen Biografie zusammengefasst. Auf Deutsch ist sie als "Im Spiegel der See" beim Marebuchverlag erschienen.

Buchhinweise
Elmar Schenkel: Fahrt ins Geheimnis - Joseph Conrad, S. Fischer Verlag, 368 Seiten, 25,60 Euro.

Joseph Conrad: Herz der Finsternis, übersetzt von Manfred Allie, S. Fischer Verlag, 384 Seiten, 20,50 Euro.

Joseph Conrad: Das große Lesebuch, Fischer Taschenbuch Verlag, 352 Seiten, 9,20 Euro.

John Stape: Im Spiegel der See - Die Leben des Joseph Conrad, übersetzt von Eike Schönfeld, Marebuchverlag, 540 Seiten, 41,10 Euro.

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