Kreuzzug gegen die Philister

Wie Eichendorff aus dem Paradies vertrieben wurde.
Freiherr Joseph von Eichendorff, verstorben vor genau 150 Jahren, gilt als letzter Schriftsteller der Romantik. Aber so einfach lässt sich der Autor nicht fassen, zumindest nicht aus heutiger Sicht.

Mit der Studentenbewegung seiner Jugend übte er den Aufbruch, während sie bereits im Abbruch begriffen war. Als Schriftsteller war Eichendorff religiös und dennoch Freigeist, im Brotberuf braver Staatsdiener.

"Poetisch rohes Studentenleben"
Eichendorff war zunächst als junger schlesischer Landadeliger 1805 in die Stadt gekommen und entdeckte dort das Universitätsleben für sich. Als Student war man in Halle wer: In Tracht gekleidet, hoben die Leute auf der Straße den Hut, wenn man vorbeiritt.

Die Mädchen in den Dörfern ringsum erhörten das Schwärmen der jungenhaften Männer. Bier wurde oft und gerne getrunken, aus großen Krügen. Eichendorff sprach in seinen Memoiren von einem "poetisch rohen Studentenleben".

Wider die reine Nützlichkeit
Und in den Hörsälen wurde der Aufbruch gelehrt wider die "reine Vernunft" und hin zu Eigenverantwortung und Fantasie. Der Aufklärung sollte eine neue Verzauberung der Welt entgegengesetzt werden.

Gemeinsam verachtete man die "Philister", die ihr Leben dem Diktat der Nützlichkeit und der Rationalität verschrieben hatten. Eichendorff widmete ihnen unzählige Seitenhiebe in seinen Romanen und Gedichten. Während seiner Zeit in Halle hatte er zu schreiben begonnen.

Die Philister vor den Toren
Aber schon bald bedrohten die Philister das glückliche Universitätsleben: Napoleon stand vor den Toren Preußens. Die Studenten mussten weg, viele von ihnen zogen in den Krieg, auch Eichendorff.

Er nahm von nun an bis 1815 wiederholt an den Napoleonischen Kriegen Teil, allerdings immer nur am Rande, weil das Geld für eine ordentliche Ausrüstung fehlte.

Auch die wichtigste Schlacht von allen wurde ohne ihn geschlagen: Zum Kampfesfeld von Waterloo kam er just einen Tag zu spät, was der überzeugte Patriot überaus bedauerte.

Plötzlich waren alle weg
Die Universität von Halle war schon 1806 aufgrund der Kriegshandlungen verwaist zurückgelassen worden. Eichendorff verleiht dem Schmerz vieler Studenten und Professoren in einem Gedicht Ausdruck:

Das Fräulein ist alt geworden,
Und unter Philistern umher
Zerstreut ist der Ritterorden,
Kennt Keiner den Andern mehr.

Auf dem verfallenen Schlosse,
Wie der Burggeist, halb im Traum,
Steh ich jetzt ohne Genossen
Und kenne die Gegend kaum.

Einmal mehr zu spät
Nach der Machtübernahme Napoleons war der Niedergang der Universität in Halle nicht mehr aufzuhalten. Die Studenten waren versprengt, einzelne Professoren lehrten noch den "Enthusiasmus einer poetischen Existenz", etwa in Heidelberg, wo Eichendorff und sein Bruder Wilhelm eine Zeit lang studierten.

Aber Eichendorff war einmal mehr zu spät gekommen. Die Hochblüte der Romantik war vorüber. In Heidelberg übernahmen bald die strengen Juristen und Theologen das Ruder.
Die letzten Professoren der Romantik, allen voran Joseph Görres, hatten zwar großen Einfluss auf Eichendorffs weiteres Leben. Im universitären Machtgefüge spielten sie jedoch kaum noch eine Rolle.

Ihr Studium beendeten die Gebrüder Eichendorff in Wien.

Der romantische Sprachcode
Was blieb, war die Sprache der Romantiker, der Code der Studenten, an dem man sich weiterhin erkannte. Eichendorff schrieb weiter in jener Kunstsprache, die seither oft als Naturschwärmerei und heimatverbundener Blut-und-Boden-Kitsch interpretiert wurde.

Jede einzelne seiner Redewendungen hatte ihre besondere Bedeutung. Es tummeln sich Anspielungen auf die Werke der Wegbereiter der Romantik in zahlreichen Nebensätzen. Vieles war ironisch gemeint, etwa eingewobene alte Sprichwörter. Sie standen für die schnöde Alltagsphilosophie der Bevölkerungsmehrheit zu Beginn des Biedermeier.

Aktuelle Lektüre mit Witz
In der jüngst erschienenen Taschenbuchausgabe sämtlicher Erzählungen (Deutscher Klassiker Verlag, siehe unten) lassen sich der Witz und die Aktualität von Eichendorffs Werk anhand von Kommentaren nachvollziehen.

Die Eroberung des Taugenichts
Bis heute gilt "Aus dem Leben eines Taugenichts" als zeitloser Klassiker und größter Erfolg Eichendorffs. Er schickt einen jungen Müllerssohn auf die Reise. Verliebt in eine bildhübsche Gräfin, gibt sich dieser der Schwärmerei hin, mit wenig Hoffnung, erhört zu werden.

Das Leben am Rande des Schlosses als Gärtner und Zöllner wird ihm bald zuwider, er zieht erneut hinaus in die weite Welt - diesmal nach Italien - und kehrt schließlich zurück, um die Gräfin doch noch zu erobern.

Die Freiheit von Zwängen, das Wandern und Musizieren, das Genießen der Natur, Mystik und eigenständige Spiritualität, rauschende Feste und die Liebe - die Romantiker werden etwas flapsig oft als "Hippies" der Zeit zwischen Spätbarock und frühem Biedermeier bezeichnet.

Mit Gott gegen die Erbsenzähler
Es ist aber Gottes Werk, das Eichendorff an der Natur lobpreist. Diesem spirituellen Genießenkönnen stellt er die Religiosität der Erbsenzähler gegenüber, denen es in der Kirche lediglich um das Sehen und Gesehenwerden geht, die sich aus jeder religiösen Handlung einen persönlichen Vorteil erhoffen.

Religion spielte für Eichendorff eine größere Rolle als für andere Romantiker, er nimmt dadurch eine Sonderstellung ein.

Und schließlich selbst Philister?
Während Eichendorffs Literatur den Geist spiritueller Mystik und persönlicher Freiheit atmete, verlief sein eigenes Leben längst denkbar anders. Das Familienvermögen hatte Eichendorffs Vater durch unfähiges Wirtschaften verloren.

Der Enttäuschung über das Ende der Studententage und den Verlust des Erbes folgte ein umständehalber biederes Leben. Eichendorff war verheiratet, hatte vier Kinder und verfolgte eine Laufbahn als Jurist im Staatsdienst.

Neue Eichendorff-Rezeption
Während seiner Beamtenkarriere verfasste Eichendorff einen Großteil seiner Romane und Gedichte. Es entstanden aber auch in moderat konservativem Grundton gehaltene politische Schriften und Satiren, die sich gegen die liberale Bewegung richteten. Der liberale Gedanke stellte sich Eichendorff als neue Form der Aufklärung im Sinne einer Hörigkeit der Vernunft gegenüber dar.

Nicht zuletzt diese Texte führten zu Missverständnissen in der Rezeption Eichendorffs. Derzeit wird der "letzte Romantiker" rund um seinen Todestag neu entdeckt. Dazu trägt auch eine von Rüdiger Safranski mit seinem aktuellen Buch "Romantik. Eine deutsche Affäre" angestoßene Debatte bei.

Simon Hadler, ORF.at

Buchhinweise
Joseph von Eichendorff: Ahnung und Gegenwart. Sämtliche Erzählungen I, herausgegeben von Wolfgang Frühwald und Brigitte Schillbach, Deutscher Klassiker Verlag, 840 Seiten, 15,50 Euro.

Joseph von Eichendorff: Dichter und ihre Gesellen. Sämtliche Erzählungen II, herausgegeben von Brigitte Schillbach und Hartwig Schultz, Deutscher Klassiker Verlag, 904 Seiten, 15,50 Euro.

Joseph von Eichendorff: Schläft ein Lied in allen Dingen. Gedichte, herausgegeben von Joseph Kiermeier-Debre, dtv, 271 Seiten, 7,80 Euro.

Joseph von Eichendorff: Aus dem Leben eines Taugenichts. Ungekürztes Hörbuch mit Worterklärungen und biografischen Notizen, drei CDs, 6,30 Euro.

Rüdiger Safranski: Romantik. Eine deutsche Affäre. Hanser, 415 Seiten, 25,60 Euro.