Wegen seiner offenbar nicht vorhandenen Nebenwirkungen, wie sie Schlafmittel ansonsten haben, wurde das Medikament oft von Schwangeren eingenommen. Die Ernüchterung folgte: In den Jahren nach der Zulassung wurden weltweit rund 10.000 Kinder mit schweren Missbildungen geboren. In Österreich wurden neun Fälle dieser Erbgutschäden registriert.
Im Tierversuch ohne Effekte
"Das Teuflische war, dass der Wirkstoff Thalidomid bei Tierversuchen keine Effekte hatte. Und weil die Forscher damals noch nicht im Hirn hatten, dass Medikamente auch erbschädigende Nebenwirkungen haben können, hat man diesem Aspekt bei der Entwicklung von Contergan in den 50er Jahren noch keine Bedeutung beigemessen", sagte damals Kurt Vymazal, Wiener Pharmazeut, Registrierungsspezialist und Experte für Fach- und Gebrauchsinformationen.
Ohne spürbare Nebenwirkungen
Der in dem Schlafmittel enthaltene Wirkstoff Thalidomid ist chemisch eine Glutaminsäure-Phthalsäure-Verbindung. Das Mittel war an sich eine Sensation.
Contergan war nämlich auch barbituratfrei, was Nebenwirkungen wie etwa Leberschädigungen wegfallen ließ. Auch eine Überdosis war an sich nicht gefährlich. Und weil es bei Schwangeren auch die oft vorkommende Übelkeit linderte, wurde es von ihnen besonders gern genommen.
Hinzu kam, dass das Medikament billig - und in Deutschland noch dazu rezeptfrei war.
Schwere Schäden an Embryonen
Doch nichts Schlechteres hätte passieren können: Im ersten Drittel der Schwangerschaft schädigte Contergan die Entwicklung des Kindes im Mutterleib.
Bis zum Dezember 1976 waren allein in der BRD bereits an die 3.000 Fälle von Missbildungen bekannt. Man nannte die Schädigung "Phokomelie" oder "Dysmelie-Syndrom", die Kinder der Frauen kamen mit verstümmelten Gliedmaßen zur Welt.
In Österreich rezeptpflichtig
Weltweit schätzt man die Zahl der mit Schädigungen geborenen Kinder auf rund 10.000. In der BRD waren es zwischen 3.000 und 4.000, manche Quellen sprechen von 5.000.
Aus Österreich sind neun - nach anderen Quellen zwölf - Fälle bekannt. Dass man hierzulande mit einem "blauen Auge" davonkam, wurde auf die damals sehr restriktive Handhabung der Rezeptpflicht in Österreich zurückgeführt.
"Softenon" - dieser Name wurde für das Produkt in Österreich verwendet - war im Gegensatz zur BRD hierzulande immer rezeptpflichtig. Die Rezeptpflicht brachte es auch mit sich, dass keine Laienwerbung betrieben werden durfte.
1962 auch in Österreich verboten
Die katastrophale Wirkung des Mittels wurde in Deutschland schließlich 1961 öffentlich bekannt. Ein Jahr später wurde das Mittel auch in Österreich vom Markt genommen.
Im Dezember 1967 erhob die Staatsanwaltschaft in der deutschen Stadt Aachen Anklage gegen das Pharma-Unternehmen Grünenthal. Das Verfahren endete ohne Urteilsspruch.
Hersteller musste Fonds einrichten
Umgerechnet bis zu 12.800 Euro musste der Erzeuger jeweils an die Geschädigten zahlen. Für umgerechnet rund 51 Mio. Euro wurde eine Stiftung eingerichtet. Die Contergan-Opfer erhalten auch heute noch Entschädigungen - je nach Schwere der Behinderung bis zu rund 500 Euro.
"Es bleibt moralische Verantwortung"
Von den 2.700 Opfern, die heute noch in Deutschland leben, fühlen sich trotzdem viele "bitter betrogen" und von Grünenthal nicht angemessen entschädigt, sagt Margit Hudelmaier als Vorsitzende des Bundesverbands Contergan-Geschädigter.
"Wir haben die schlechteste Rente und die niedrigsten Sätze von allen Ländern, in denen Contergan auf dem Markt war", kritisiert Hudelmaier. "Juristisch ist der Prozess abgeschlossen worden - auch wenn wir heute nicht fassen können, wie es zu der Regelung damals kommen konnte. Aber es bleibt die klare moralische Verantwortung des Verursachers."
Links: