"Das Beste und das Albernste von Bach"

Die Einspielung der Goldberg-Variationen begründete den internationalen Ruf von Glenn Gould.
Thomas Bernhard nannte sie "die Schallplatte der Schallplatten", für Musikliebhaber ist sie seit einem halben Jahrhundert Kult: Die Einspielung von Bachs Goldberg-Variationen durch Glenn Gould (1932-1982) aus dem Jahr 1955 zählt zu den erfolgreichsten Klassikaufnahmen überhaupt.

Mit seiner Version von Bachs "Aria mit 30 Veränderungen" stieg der kanadische Pianist zum ersten Popstar der Konzertwelt auf, unterstützt von einer bis dahin für die Branche einmaligen Werbekampagne.

Wendepunkt in der Karriere
Die Produktion, aufgenommen von 6. bis 16. Juni 1955 in den New Yorker Columbia-Studios, gab Goulds Karriere eine spektakuläre Wendung. Zwar war der Pianist Mitte der 50er Jahre in seiner Heimat längst ein gefeierter Künstler. Doch in den USA stand der Durchbruch noch bevor. Goulds Manager Walter Homburger plante das US-Debüt sehr genau.

Mit zwei Nachmittagskonzerten in Washington und New York sollte der Künstler dem großen Publikum im Nachbarland präsentiert werden.

Gould spielte allerdings nur zögernd mit. Für die beiden Nachmittagskonzerte wählte der Pianist ein ambitioniertes Programm mit Werken von Webern, Bach und Alban Berg. Die Zuhörer waren trotzdem begeistert. "Ich kenne keinen Pianisten, der sich mit ihm vergleichen ließe", schrieb der Kritiker der "Washington Post".

"Ich war wie elektrisiert"
Doch wichtiger als Kritik waren für Gould die Produzenten. "Ich war wie elektrisiert", erzählte später David Oppenheim von Columbia Records nach dem New Yorker Konzert, zu dem rund 250 Zuhörer, unter ihnen einige Musikerkollegen, erschienen waren. Einen Tag später unterzeichnete Gould einen Exklusivvertrag mit der Plattenfirma.

Goulds Auftritt, seine ungestüme Art, sein unkonventionelles Spiel entsprachen dem Zeitgeist: Ein "junger Wilder der Musik", der "Marlon Brando des Klaviers" schrieben die Blätter über den jungen Mann, der sich so komisch über die Tasten beugte und am Piano zuweilen murmelte und summte. Columbia wollte mit der ersten Aufnahme mit Gould den Ausnahmemusiker und die Kultfigur zugleich vermarkten.

Doch auch hier blieb sich "Mr. Seltsam" treu: Ausgerechnet mit Bachs als schwer und sperrig geltenden Goldberg-Variationen trat Gould zu seinem Columbia-Debüt an.

Mantel, Haube und Schal
An einem milden Juni-Tag erschien Gould im Studio mit Mantel, Haube, Schal und Handschuhen zur ersten Aufnahmesitzung - dazu jede Menge Handtücher, zwei Flaschen Mineralwasser und fünf kleine Fläschchen mit Pillen gegen allerlei Beschwerden. Doch nicht diese Marotten, sondern Goulds Gurren brachte die Tontechniker aus der Fassung.

"Ich bat ihn, sein Mitsingen so leise wie möglich zu halten, worauf er tags darauf mit einer Gasmaske auf dem Gesicht erschien", erinnert sich Howard Scott in dem Begleitheft zur Jubiläums-CD. Aber es war hoffnungslos: Gould sang weiter - doch "er spielte wie ein Gott".

Gould über Bach
Als das Album Anfang Jänner 1956 erschien, wurde es sofort ein Hit. Mehr als 100.000-mal verkaufte sich die LP bis zu Goulds Tod 1982. Der Pianist selber, der 1981 eine umstrittene Fassung der Variationen mit extrem langsamen Tempi neu aufnahm, blieb sich treu.

Bachs Meisterwerk werde "hochgradig überschätzt", sagte er in einem Interview kurz vor seinem Tod. Vieles davon gehöre zum Besten, was Bach je geschrieben habe, "anderes gehört zum Albernsten". Doch als Ganzes, gab Gould zu Protokoll, "halte ich das Stück für nicht besonders gelungen".