"Eine arme Seele"

"Nach und nach tut er mir leid", sagt Natascha Kampusch über Wolfgang Priklopil.
"Es war wie ein Ringkampf" - ein Jahr nach ihrer Selbstbefreiung hat Natascha Kampusch gegenüber dem ORF nicht nur über ihr neues Leben gesprochen, sondern auch über ihre Erfahrungen mit dem Entführer Wolfgang Priklopil.

Christoph Feurstein mit Natascha Kampusch im Interview / ©Bild: ORF
Christoph Feurstein mit Natascha Kampusch im Interview / ©Bild: ORF

"Er hat zum Teil versucht, mich zu manipulieren, so wie er mich gerne gehabt haben wollte", erzählt Kampusch in dem am Montagabend in einem "Thema spezial" ausgestrahlten Interview mit Christoph Feurstein, das rund eine Million Menschen sahen.

Teilweise habe sie sich manipulieren lassen - teilweise habe sie sich auch wehren können, so Kampusch: Auch sie habe Priklopil manipulieren können - "es war so einem Ringkampf gleich (...), es war ein Ringen".

"Das kommt schon manchmal wieder"
Das Leid aus der Vergangenheit verfolgt Kampusch, wie sie erzählt, jedenfalls weiter: "Das kommt manchmal schon wieder, aber auf der anderen Seite. Dadurch, dass ich jetzt auch andere Menschen kennenlernen konnte, sehe ich, dass die Menschen gar nicht so vor verschiedenen Problemen stehen wie ich."

Natascha Kampusch während des
Natascha Kampusch während des "Thema Spezial"-Interviews / ©Bild: ORF

Ihr Bild von Priklopil habe sich im letzten Jahr grundsätzlich nicht verändert: "Was ich nur sagen kann, ist, dass er mir nach und nach immer mehr leidtut."

"In die Ferne gerückt"
Sie sehe ihn als eine "arme Seele, verloren und fehlgeleitet": "Das, was er mir antat, ist einfach weiter in die Ferne gerückt, und es verblasst zwar nicht und es kommt immer wieder hoch, und ich versuche einfach so gut wie möglich mit diesen Erinnerungen umzugehen und sie auch aufzuarbeiten."

Ihr Verhältnis mit Priklopil sei wie "ein Ringkampf" gewesen. Er habe sie zu manipulieren versucht, um sie so zu haben, wie er sie gerne wollte - und sie habe das mit ihm im Gegenzug auch gemacht.

Verabschiedung am Sarg
Natascha Kampusch nimmt auch Stellung zum Buch ihrer Mutter, das sie so nicht geschrieben hätte, aber akzeptiere. Wichtig war ihr, die im Buch dargestellte Verabschiedung am Sarg von Priklopil zu erläutern: "Ich habe mich verabschiedet, warum auch nicht. Das war mir schon wichtig, weil ich ihn zuletzt lebend gesehen habe, als er mir den Rücken zuwandte und ich Hals über Kopf einfach weggelaufen bin. Ich habe mich aber nur vom Sarg verabschiedet, ich habe ihn dann nicht mehr gesehen. Das wollte ich eigentlich nie in die Öffentlichkeit gelangen lassen."

Natascha Kampusch bei der Buchpraesentation ihrer Mutter
Natascha Kampusch bei der Buchpraesentation ihrer Mutter "Verzweifelte Jahre. Mein Leben ohne Natascha" / ©Bild: AP

Sie habe einmal "zynisch gemeint", sie werde auf seinem "Grab tanzen": Das war natürlich nicht der Fall, aber es war schon auch eine gewisse Genugtuung dabei, so eine Art Sieg, so im Sinne von: Es war immer klar, es konnte nur einen von uns beiden geben, und ich war das, letztendlich, und er nicht. Das war auch so ein bisschen Bedauern dabei, Mitleid."

"Böses nicht mit Bösem vergelten"
Kampusch erzählt, dass sie das Beste aus ihrer jetzigen Situation machen wolle: "Ich winde sozusagen das Schwammtuch bis zum letzen Tropfen Wasser aus, und das habe ich auch die acht Jahre gemacht, und ich wollte auch keine negativen Energien einbringen, warum soll ich negativ oder böse sein. Man soll nicht Böses mit Bösem vergelten."

Die Scheu ein wenig verloren
Sie habe ein klein wenig ihre Scheu vor anderen Menschen verloren, sagt Kampusch rückblickend auf das letzte Jahr: "Anfänglich hatte ich recht schnell, wenn mich jemand ansprach oder ich ein lautes Geräusch vernahm, einen Schreckmoment, und mir ist es danach recht schlecht gegangen. Jetzt geht es mir sukzessive besser, obwohl ich noch immer recht schreckhaft bin und ich immer noch meine Kreislaufprobleme habe."

Natascha Kampusch und ihre Schwester Sabina Sirny / ©Bild: ORF
Natascha Kampusch und ihre Schwester Sabina Sirny / ©Bild: ORF

Schwierig sei es mit dem "Vertrauen", sagt sie: Es werde wohl sehr lange dauern, bis sie jemandem voll vertrauen könne. "Es gibt natürlich auch viele Menschen, die versuchen, das Vertrauen, was man in sie setzt, zu missbrauchen, und das ist schlimm."

Herausfinden, wie man Freundschaft definiert
Die Frage, ob sie neue Freunde gefunden habe, lässt sie in gewisser Weise offen: "Ich habe für mich noch nicht herausgefunden, wie man Freundschaft definiert."

Umgang mit den Medien
Kampusch hat, wie das Interview zeigt, auch sehr viel über den Umgang der Medien mit ihrer Person und ihrer Familie nachgedacht: etwa mit ihrem Vater, der im Umgang mit den Medien recht naiv sei und sich von materiellen Dingen "beeindrucken" lasse. Und über jene Fotos, die von ihr und einem jungen Mann in der Babenberger-Passage geschossen wurden. Ihr angeblicher Freund sei eine Erfindung: "Das ist eben das Witzige daran, weil die wissen das ja nicht und behaupten das einfach so."

Natascha Kampusch in Barcelona / ©Bild: ORF
Natascha Kampusch in Barcelona / ©Bild: ORF

"Das regle ich für mich privat"
Als die starke Figur, als die sie die Medien darstellen, sieht sie sich nicht: "Sie werden mich selten oder überhaupt gar nie in der Öffentlichkeit weinen sehen oder schluchzen, zusammenbrechen. Das regle ich für mich privat."

Sie wünsche sich, dass die Menschen mit ihr "etwas sensibler" umgingen "und nicht irgendwie drauflosfotografieren". Sie sei kein Superstar. Als Kind habe sie so etwas Ähnliches werden wollen wie ein Hollywood-Star - die Medien wollten aber "eher so eine Art Partyluder oder einen Mausi-Lugner-Verschnitt, Mausi-Lugner-Paris-Hilton-Verschnitt aus mir machen".

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