"Liebesgeschichte" (Zsolnay), so heißt der Krimi, Kabale- und Katastrophenroman, unterhält bar jeder Subtilität, ist Parabel und Groteske - und nimmt sich nicht einmal als solche ernst.
Hackordnung der Demütigungen
Konventionell mutet nur die Rahmenhandlung an, in der eine Hackordnung der Demütigungen entworfen wird. Marie liebt ihren Mann, den Mittdreißiger Alexander, der sie geringschätzt und betrügt.
Alexander liebt Dunja, aber er langweilt sie, obwohl sie mit ihm schläft. Dunja liebt ihrerseits Doyle, von dem sie sexuell gedemütigt wird.
Gefühlstaumel und Suspense
Die Ereignisse überschlagen sich, als Marie nach einem Streit ins Kinderzimmer verschwindet und Alexander dreimal reglos einen dumpfen Aufprall im Hof registriert. Hier beginnt der Suspense der Geschichte.
Die Hackordnung gerät ins Wanken, und bald droht man den Überblick zu verlieren, wer hier wem nach dem Leben trachtet und wer bereit ist, für seine Liebe zu sterben. Eine Tour de Force durch Wien und durch das Gefühlsleben der Protagonisten beginnt.
Der Zufall führt Regie
Mit den Wendungen der Handlung wird nicht lange gefackelt: Regie führt der Zufall, auf Plausibilität wird verzichtet, wie man es von früheren Romanen Franzobels kennt, etwa "Lusthaus oder die Schule der Gemeinheit" (2002) und "Das Fest der Steine oder Die Wunderkammer der Exzentrik" (2005, beide Zsolnay).
Ähnlich willkürlich geht der Autor einmal mehr vor, wenn es gilt, Themen unterzubringen, die ihn während des Verfassens des Buches bewegten - von Selbstmordattentaten und Magenverkleinerungen über die neue Schule der Kapitalismuskritik bis hin zur Erkenntnis, dass heutzutage alle so viel mit dem Handy telefonieren.
"Die Hurenhäuser der Moderne"
Deutlich wird das am Charakter Maries, die als eher langweilige Ehefrau eingeführt wird. Dann muss sie des Witzes halber gleichzeitig Ärztin sein, die Magenverkleinerungen vornimmt, und Aktionärin einer Tortenfirma.
Zugleich legt ihr Franzobel Kapitalismuskritik in den Mund: "Outletmärkte und Geiz-ist-Geil-Burgen, das waren die Hurenhäuser der Moderne." Konsistenz der Figur? Kein Thema. Tiefgang der Erkenntnis? Fraglich.
Panoptikum des Grauens
Aber genau so ist das Leben, scheint Franzobel sagen zu wollen. Und genau so sind die Menschen, ein Panoptikum des Grauens: "Sprachfett quillt aus den Mündern." So ist das Buch geschrieben, ohne Kompromiss.
"Jetzt musste er diesen blonden Tuttelvogel eines reinbraten, dass sie wünschte, nie geboren oder lieber gleich von der Hebamme ersäuft worden zu sein."
Mönchen wird von metallenen Vögeln der Anus penetriert. Was ist ein verbissen dreinschauender Jogger mit grünem Stirnband im Prater? Selbstmordattentäter.
Postmasturbatorische Traurigkeit
Das Jungfrauenroulette ist der wohl programmierte skandalöse Aufreger des Buches. Es scheint eher von einer TV-Werbung der Casinos Austria inspiriert als von Marquis de Sade. In den Mund welches der 36 Mädchen wird Alexander kommen?
Liebevolle Verdreher
Ob Franzobel nach dem Verfassen solcher Passagen jene "postmasturbatorische Traurigkeit" empfindet, über die er an anderer Stelle schreibt?
Diese Traurigkeit würde auch die poetischeren, ruhigeren Stellen im Roman erklären. Die liebevollen Wortverdrehungen von Alexander und Marie etwa.
Oder das Reflektieren auf dem sprachlichen Niveau und aus dem Blickwinkel der Protagonisten über das Gegensatzpaar materiell/immateriell, herunterdekliniert an den Themen Religion, Psychologie, Liebe etc.
Das hier ist Speedmetal
Wie der Verlag den Roman mit der "sanftmütigen Ballade einer Heavy-Metal-Band" vergleichen kann, bleibt jedoch ein völliges Rätsel. Vielleicht erinnert Franzobels Stil ein wenig an das nervöse Kreischen des Sängers von Iron Maiden.
Aber Ballade? Das hier ist Speedmetal. Zu laut, zu schnell, zu viel von allem. Ganz so, wie es Franzobel gerne hat.
Wie würde man seinen Freunden einen Gig dieser Band empfehlen? "Wenn ihr Zeit habt, trinkt ein Bier oder zwei und geht auf das Konzert. Da geht die Post ab. Wenn ihr keine Zeit habt, macht auch nichts, diese Band kommt immer wieder in die Stadt."
Simon Hadler, ORF.at
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