"Mein Name existiert nicht"

Alfred Döblin - trotz "Berlin Alexanderplatz" ein Vergessener der Literaturgeschichte.
"Ich bin hier nichts und überhaupt, was habe ich am Ende meines Lebens erreicht? (...) Da reden und schreiben sie wesentlich über Kafka, dann über Joyce, der ganz groß ist, und noch andre, mein Name existiert nicht."

Als Alfred Döblin am 26. Juni 1957 in einem Sanatorium im Schwarzwald starb, bewahrheitete sich seine Tagebuchprophezeiung halb. Große literarische Preise blieben ihm verwehrt, auch sein Tod stand im Schatten seines ewigen Antipoden Thomas Mann, der zwei Jahre vor ihm gestorben war.

"Berlin Alexanderplatz" gilt als Markstein in der Romanliteratur des 20. Jahrhunderts, wenngleich oft betont wurde, dass Döblins Werk ungerechtfertigterweise auf diesen Roman reduziert wird. Doch Döblins Pech blieb, dass man diesen großen Montageroman über das Schicksal von Franz Biberkopf, der mehr vom Leben wollte als das berühmte "Butterbrot", stets an Joyces "Ulysses" maß und Forscher sich über Jahrzehnte mit der Recherche über Querbezüge von Döblin zu Joyce abmühten.

Ein ausuferndes Werk
Döblin war schließlich klar, warum sein Werk, mit Ausnahme des Biberkopf-Romans, so viel weniger wirkte als das vieler Zeitgenossen. Seine Themen und Ideen waren von Anfang seiner literarischen Karriere an höchst sprunghaft: Einmal schrieb er das abgründige Porträt eines Psychotikers, "Die Ermordung einer Butterblume", einmal einen "chinesischen Roman" ("Die drei Sprünge des Wang-lun"); wenig später folgte das bizarre Werk "Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine".

Verleger, die schließlich ein wirtschaftliches Auskommen zu finden hatte, sahen sich nicht selten mit den massenhaften Ausstößen aus der Döblinschen Schreibwerkstatt überfordert.

"Zu schwer, zu dick, zu voll"
Döblins Tetralogie "November 1918", die er während des Zweiten Weltkrieges im US-Exil fertig gestellt hatte, wurde zu seinen Lebzeiten nie geschlossen veröffentlicht. Erst in den 70er Jahren wurde das Werk im Deutschen Taschenbuch Verlag gesamt publiziert.

"Meine Bücher sind zu schwer, zu dick, zu voll, und zu verschlossen. Ich bin nicht einfach, nicht eindeutig genug", stellte Döblin bei seiner Rückkehr nach Deutschland als französischer Kulturoffizier fest.

Über zwölf Jahre im Exil
Döblin war zu diesem Zeitpunkt über zwölf Jahre im Exil gewesen. Nach der Machtergreifung Hitlers stand der Jude Döblin ganz oben auf den Verhaftungslisten der Nationalsozialisten. Eine dramatische Flucht begann, zunächst in die Schweiz, danach nach Frankreich.

Mit dem Einmarsch der Nazis wurde das Schicksal der Familie Döblin dramatisch. Seine Frau flüchtete mit einem seiner Söhne aus Paris, Alfred Döblin blieb vorerst in einem Unterschlupf beim elsässischen Germanisten Robert Minder, um sich wenig später auf eine verzweifelte Suche nach seiner Frau in der Südauvergne zu machen.

Zurück in Paris blieb Sohn Wolfgang - er wollte sein Mathematikstudium zu Ende bringen. Doch das Leben des Sohnes endete dramatisch. Er versteckte sich vor den Nazis auf einem Bauernhof in Lothringen und nahm sich vor seiner Ergreifung das Leben.

Der verlorene Sohn
Die Döblins sollten erst 1945 vom Tod Wolfgangs erfahren. Wolfgang Döblin hatte knapp vor seinem Lebensende ein Dossier an die Sorbonne geschickt. Enthalten war ein dicht beschriebenes Schulheft.

Das Kuvert wurde allerdings erst im Jahr 2000 geöffnet. Über Jahrzehnte blieb eine Sensation im Bereich der Mathematik unbekannt. Wolfgang Döblin hatte einen entscheidenden Beitrag zur Wahrscheinlichkeitsrechnung geliefert - die Lösung der Kolmogorowschen Gleichung.

Der Nazi-Geist regierte weiter
Das Schicksal von Wolfgang brach Alfred Döblin das Herz. Döblin, der mit seiner Familie 1936 in Frankreich eingebürgert worden war, wurde nach 1945 in Deutschland nie mehr richtig heimisch - der Nazi-Geist, so sein Eindruck, regiere in Deutschland weiter. "Die Leute sind ja geistig dreizehn Jahre unterernährt worden und merken es jetzt kaum", schrieb Döblin in einem Brief im Juni 1946.

Döblin sollte in dieser Zeit in Baden-Baden als französischer Kulturoffizier für Volkserziehung wirken. Teil seiner Tätigkeit war die Herausgabe der von ihm gegründeten Zeitschrift "Das goldene Tor" (inspiriert vom Symbol der Golden Gate Bridge), in der Texte jener Autoren erschienen, die wie Döblin vor den Nazis ins Exil flüchten mussten: Arbeiten von Lion Feuchtwanger konnte man darin ebenso lesen wie jene von Berthold Brecht und Heinrich und Thomas Mann.

"Bin hier überflüssig"
1953, vier Jahre vor seinem Tod, zog Döblin resigniert Bilanz: "Ich bin in diesem Lande, in dem ich und meine Eltern geboren sind, überflüssig." Ein Angebot der DDR zur Übersiedlung nach Ostberlin, also immerhin jene Stadt, in der der junge Arzt Döblin zum Großstadtbeobachter wurde, lehnte er ab.

Das Angebot, in die DDR zu übersiedeln, kam auch vom damaligen DDR-Kulturminister Johannes R. Becher. Dieser hatte noch im Herbst 1929 Döblins "Berlin Alexanderplatz" und die Hauptfigur Franz Biberkopf als "ein künstlich gepresstes Laboratoriumsprodukt" verrissen.

Ständiger Bruch mit Konventionen
Döblin blieb sein ganzes Leben ein Unangepasster. Seine Etablierung als Arzt ist ebenso voll von persönlichen Zerwürfnissen wie seine Karriere als Literat.

Döblin wollte sich in Konventionen nicht fügen. Literarische Moden antizipierte er: Sah er wenige Jahre nach der Gründung der "Brücke" eine symbiotische Verbindung zwischen expressionistischer Malerei und Literatur, so wollte er später von dieser Allianz nichts wissen. Vergessen war später auch der einst euphorische Brief an den Futuristen Marinetti, dessen Ideen Döblin in die deutsche Literatur tragen wollte.

Seine Texte hätten nichts mit der Malerei gemein, sagte Döblin Anfang der 30er Jahre und sprach der Malerei jegliches Verhältnis zur Realität ab. "Das Buch, der Roman, steht nicht richtig in der Zeit", orakelte Döblin Anfang der 30er Jahre, ohne selbst eine literarische Antwort parat zu haben.

"Berlin Alexanderplatz"
Döblin hatte bis dahin Werke von höchst unterschiedlicher Bauart vorgelegt, den ausufernden "Wallenstein" ebenso wie den modernistischen "Berlin Alexanderplatz". Döblin ließ sich nicht festlegen, und so suchte man bei seinen Werken immer danach, woher gewisse Einflüsse herkämen, anstatt das Genuine an Döblin würdigen zu können.

"Berlin Alexanderplatz" ist weitaus radikaler, was Erzählstil und Bauart des Romans betrifft, als "Ulysses" von Joyce. Während Joyce stets das Anspielungsgeflecht aus Innenperspektiven von Figuren sucht, spielt Döblin mit dem Prinzip der Montage.

Döblin ist wie kaum ein anderer deutscher Romancier in den 1920ern von den Erzählweisen des Kinos beeinflusst. Innerer Monolog, Beschreibung und Kommentar können bei ihm in einem Satz verschmelzen - Urbanismus, das bedeutet bei Döblin direkt überlagerte Vielstimmigkeit und andauernden Tempowechsel.

Die Rückkehr des Erzählers
Und anders als Joyce verlangt Döblin nicht das Mitschleppen eines belastenden Bildungskanons, um Zugang zu seinem Werk zu finden. Döblin interessierte, wie er das in seiner Rede "Der Bau des epischen Werkes" darlegte, "die Elementarsituation des menschlichen Daseins".

Döblin verteidigt die epische Struktur, er verteidigt den Bericht und letztlich die Anwesenheit eines Erzählers im Roman. Das Moderne an Döblin ist dem Umstand geschuldet, dass der Erzähler, anders als in der Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts, dann auftaucht, wenn man ihn nicht erwartet.

"Berlin ist sein Megaphon"
Walter Benjamin war einer der Ersten, die Döblin gegen die andauernde Bezugsetzung zu Joyce in Schutz nahmen. Benjamin weist das "Gerede vom inneren Monolog" zurück: "In Wirklichkeit handelt es sich um etwas ganz anderes. Stilprinzip dieses Buches ist die Montage." Für Benjamin ist die Montage bei Döblin so dicht, dass der Autor darunter gar nicht "zu Wort" komme. "Berlin", so Benjamin über Döblin, "ist sein Megaphon."

Keine Heimat mehr in der Stadt
Nach dem Zweiten Weltkrieg sollte Döblin der Weg sowohl nach West- als auch nach Ostberlin versperrt bleiben. Die Stadt, die seinen literarischen Zugang maßgeblich prägte, war keine Option mehr. Er wollte es Anfang der 50er Jahre noch einmal mit Paris versuchen. Doch eine Serie von Krankheiten zwang Döblin zum Rückzug vom Stadtleben. Er starb letztlich in einer Klinik im Schwarzwald.

Alfred Döblin wollte an der letzten Ruhestätte seines Sohnes Wolfgang, im französischen Housseras, begraben werden. Erna Döblin folgte ihrem Mann ins Grab: Sie nahm sich wenige Monate nach seinem Tod das Leben.

Gerald Heidegger, ORF.at

Buchhinweise
Der Deutsche Taschenbuch Verlag hat zum 50. Todestag von Alfred Döblin eine Reihe seiner Romane in der kommentierten Form als Taschenbuch vorgelegt. Umfangreich kommentiert liegen nun "Die Ermordung einer Butterblume", "Die drei Sprünge des Wang-lun", "Wallenstein" und "Berlin Alexanderplatz" vor. Alle Taschenbuchausgaben lassen einen umfangreichen Einblick in die Entstehung dieser großen Werke zu. Ergänzend erschien die kompakte Döblin-Monografie von Oliver Bernhardt in der Reihe dtv-porträt.

Zur Lebensgeschichte von Wolfgang Döblin legte der Eichborn-Verlag 2005 das Werk von Marc Petit, "Die verlorene Gleichung. Auf den Spuren von Wolfgang und Alfred Döblin", vor.

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