"Schlafen kann ich, wenn ich tot bin"

Vor 25 Jahren starb Rainer Werner Fassbinder.
Er war ein Getriebener und ein Besessener zugleich: "Schlafen kann ich, wenn ich tot bin", war die stereotype Antwort Rainer Werner Fassbinders auf die Frage nach seinem geradezu erschreckenden Pensum. Und so exzessiv wie er arbeitete, lebte er auch: Affären, Alkohol, Medikamente und Kokain - am Ende kam alles zusammen.

Streit in der Fassbinder-"Familie"
Pünktlich zu seinem 25. Todestag am 10. Juni ist jetzt ein heftiger "Familienstreit" darüber entbrannt, wie der künstlerische Nachlass des wohl einflussreichsten Filmemachers der deutschen Nachkriegsgeschichte zu pflegen ist.

In den Haaren liegen einander frühere Weggefährten um Ingrid Caven und die Fassbinder Foundation mit Juliane Lorenz an der Spitze.

Intrigen und Eifersüchteleien
Der Streit erinnert an die Intrigen und Eifersüchteleien in der "Filmfamilie" zu Fassbinders Lebzeiten: Der Regisseur schuf wahre Abhängigkeitsverhältnisse mit Liebesentzug, Schmeicheleien und Bestrafung; Beruf und Privatleben waren nicht mehr zu trennen, wenn man den späteren Berichten mancher Weggefährten Glauben schenken darf.

"Immer unberechenbarer"
"Er, der gewöhnt war, sich alle leicht unterwerfen zu können, reagierte mit Aggression, Zornesausbrüchen und Wutanfällen, die uns allesamt zuteil und immer unberechenbarer wurden", erinnerte sich Kurt Raab in dem zusammen mit Karsten Peters verfassten, 1982 erschienenen Buch "Die Sehnsucht des Rainer Werner Fassbinder".

Darin geht es zum Beispiel um jene Zeit, als der homosexuelle Regisseur für den Schauspieler Günther Kaufmann mehr als nur berufliches Interesse entwickelte, was das ganze Team zu spüren bekam.

"Macht mit seiner Angst Mut"
Fassbinder war ein künstlerisches Genie und ein liebesbedürftiges "Ekelpaket". Wenn er mit seinem Team "Mensch ärgere dich nicht" spielte und verlor, konnte er wütend wie ein Kind werden. "Das Wunderbare an diesem Widerling war: Er machte mit seiner Angst den anderen Mut", sagte der Kollege Hark Bohm einmal.

Einen autobiografischen Stempel trägt die 1970 entstandene "Warnung vor einer heiligen Nutte", in der er Spannungen und Aggressionen in einem Filmteam thematisiert. Schwule Obsessionen verarbeitete er in der Genet-Adaption "Querelle", seinem letzten Film.

Filmgeschichte am Fließband
So kompliziert seine Person war, so widersprüchlich ist auch sein Werk: Der manchen als bösartig und unkontrollierbar geltende Regisseur drehte hoch sensible Filme in Rekordzeit.

Allein 1969 entstanden zehn Filme; insgesamt drehte Fassbinder mehr als 40 Spielfilme in nur 13 Jahren, dazu Fernsehserien, schrieb Drehbücher und Theaterstücke.

"Viele Filme machen, damit mein Leben zum Film wird" war ein Motto des deutschen Regisseurs, der quasi am Fließband Filmgeschichte geschrieben hat.

Scheitern und Lebenshunger
Neben dem 15 Stunden langen Filmepos "Berlin Alexanderplatz" mit Günter Lamprecht nach Alfred Döblin drehte er ebenso einfühlsame wie Kälteschauer erzeugende Filme über Lebenshunger, Gefühlsarmut, Scheitern und Alleinsein wie "Katzelmacher", "Liebe ist kälter als der Tod", "Händler der vier Jahreszeiten", "Die bitteren Tränen der Petra von Kant", "Angst essen Seele auf" (mit Brigitte Mira) sowie "Die Ehe der Maria Braun" und "Lili Marleen", beide mit Hanna Schygulla.

Enttäuschte Hoffnungen
Mit ihr hatte sich Fassbinder auch mit seiner Fontane-Verfilmung "Effi Briest" 1974 starke Hoffnungen auf einen Goldenen Bären bei der Berlinale gemacht.

Dass es nicht so kam, traf den Regisseur sichtlich, hatte er doch den Anspruch erhoben, dass ihm nach Gustaf Gründgens ("Der Schritt vom Wege" mit Marianne Hoppe) eine der anspruchsvollsten Verfilmungen der Geschichte gelungen sei.

Bär für "Veronika Voss"
Die Genugtuung kam erst wenige Monate vor seinem Tod, als Fassbinder für "Die Sehnsucht der Veronika Voss" über eine drogenabhängige UFA-Schauspielerin 1982 die ersehnte Auszeichnung im Berliner Zoo-Palast in Händen halten konnte.

Am Anfang des Films, als sich Veronika Voss im Kino einen ihrer alten Filme ansieht, sitzt im Publikum schräg hinter ihr Fassbinder - es war sein letzter Auftritt in einem eigenen Film.

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