"Arrivederci amore, ciao" (Tropen-Verlag) sorgte 2001 schon alleine deshalb für Aufregung, weil der 50-Jährige Autor darin sein eigenes Schicksal aufarbeitete - ein Schicksal, das jedem Italiener aus den Medien bekannt ist.
Autor selbst als Mörder verurteilt
Denn Carlotto war selbst einmal Mitglied der militanten Vereinigung Lotta Continua. Als er 1976 eine tote Studentin fand, wurde er des Mordes bezichtigt. Die erste Instanz beschied ihm wegen Mangels an Beweisen seine Unschuld - in der zweiten wurde er jedoch zu 18 Jahren Haft verurteilt.
Aber der spätere Krimiautor setzte sich rechtzeitig nach Paris ab. Insgesamt fünf Jahre lang befand er sich auf der Flucht. In Mexiko wurde er schließlich verhaftet und an Italien ausgeliefert. Dort folgte ein neuerlicher Prozess, der wieder mit Freispruch endete - und in zweiter Instanz erneut auf 18 Jahre Haft geändert wurde.
Nach fünf Jahren Flucht und sechs Jahren in Haft wurde Carlotto schließlich auf Druck der Öffentlichkeit begnadigt.
Böse, kaltschnäuzig, skrupellos
Inzwischen als Autor von Krimis erfolgreich, erzählt Carlotto in "Arrivederci amore, ciao" die Geschichte dessen, für den er gehalten wurde - der er aber nicht war. Denn Giorgio Pellegrini, der Ich-Erzähler des Romans, ist tatsächlich schuldig - und böse, kaltschnäuzig, skrupellos.
Bei einem Anschlag auf eine Bank stirbt entgegen den ursprünglichen Plänen ein Wachebeamter. Pellegrini flieht nach Südamerika und schließt sich dort einer Guerilla-Truppe an. Als er den Befehl ausführt, seinen besten Freund umzubringen, ist plötzlich etwas anders: Das Töten verschafft Befriedigung.
Angesehen - im Reich der Korruption
Zurück in Europa sagt Pellegrini als Kronzeuge aus und kann so seine Haftstrafe auf wenige Jahre reduzieren. Danach will er ein angesehenes Mitglied der Gesellschaft werden - und reich; dabei redlich zu bleiben gehört nicht zum Plan.
Denn schließlich - und das ist der Subtext von Carlottos Roman - gehört es unter den reichen, angesehenen Mitgliedern der italienischen Gesellschaft der 90er Jahre zum guten Ton, Kontakte zur Mafia zu unterhalten, korrupt zu sein und für ein gutes Geschäft buchstäblich über Leichen zu gehen.
Töten, quälen, vergewaltigen
Und Leichen pflastern Pellegrinis Weg zum Erfolg. Wo auch immer es ihm den geringsten Nutzen verschafft, tötet er, quält und traktiert Menschen, nötigt Frauen zum Sex. Eingeschlagen wird der schnellste Weg zum Erfolg, ohne wegen moralischer Bedenken einen Umweg zu akzeptieren.
Massimo Carlotto lässt Pellegrini seine Geschichte in knappen Worten erzählen, lapidar, ohne Mitgefühl für die Opfer. Sein Zugang erinnert an jenen von Patricia Highsmith mit ihrer Faszination für das Böse.
Aber anders als bei Highsmith fehlt hier die Sympathie für den Bösewicht: Pellegrini denkt und agiert kalt und streng rational, eher ist er Teil einer brutalen Maschinerie als ein amoralischer, aber liebenswerter Filou.
Das italienische "Laboratorium der Kriminalität"
Im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" sagt Carlotto, es gehe ihm eben nicht um das Böse im Menschen, sondern um eine Wirklichkeit, die heute von Journalisten kaum mehr beschrieben werde: das italienische Wirtschaftswunder in der Gegend um Padua, Treviso und Vicenza.
"Diese Gegend ist das unglaublichste Laboratorium der Kriminalität in Europa, ein geografischer Knotenpunkt. Aus der globalisierten Wirtschaft sind hier ganz neue Verbrechensformen entstanden." Es sei ihm nicht darum gegangen, seine eigene Geschichte aufzuarbeiten - sondern um Aufklärung und Information.
"Gespenstisch und faszinierend"
Die internationale Literaturkritik gibt Carlotto Recht. Voll Staunen schrieb die "New York Times" über den Ich-Erzäher Pellegrini: "Auf seiner Reise durch Venetien lernt er alles, was man über die aktuellen kriminellen Trends wissen muss, und erklärt sie dem Leser in einem kalten und herzlosen - aber auf eine gespenstische Weise faszinierenden Redefluss."
Ähnlich die "Frankfurter Allgemeine", die zwar von einer fehlenden Tiefe der Hauptfigur spricht, aber: "Von einer unheilvollen Anziehungskraft ist die Geschichte trotzdem: Sie kann oder will zwar keine richtige Identifikation mit dem Anti-Helden hervorrufen, verschiebt aber immerhin gehörig die Vorstellung von dem, was gut, was böse und was notwendig ist."
Als nächstes ein Feinschmeckerbuch
In Italien ist im April Carlottos jüngster Krimi erschienen. Es geht darin um die Mythen über die italienische Küche. Gegenüber der "Süddeutschen" sagt der Autor, die Hauptfigur sei ein Feinschmecker, "noch fieser als Giorgio Pellegrini".
Als nächstes wird allerdings Carlottos erstes, autobiografisches Buch auf Deutsch erscheinen, in dem er - laut "Süddeutscher" ungewohnt selbstironisch - über sein Untertauchen in Mexiko berichtet. Man darf gespannt sein.
Buchhinweis
Massimo Carlotto: Arrivederci amore, ciao. Tropen Verlag, 186 Seiten, 19,40 Euro.
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