Bei der Diagonale, dem Festival des österreichischen Films in Graz, wurden jüngst 28 Dokus gezeigt - sieben mehr als Spielfilme. Erwin Wagenhofers "We Feed The World", vor kurzem auch im ORF zu sehen, schaffte es mit 200.000 Kinobesuchern in die Top Ten aller je in Österreich produzierten Filme.
Und bei der Viennale in Wien - dort liefen rund 60 Dokus - holte im Vorjahr die Auslastung erstmals jene bei den Spielfilmen ein.
Fixtermin für Dokus
Der ORF trägt dem Trend mit einer neuen Filmleiste im TV Rechnung: Ein Mal wöchentlich geht es in "dok.film" (sonntags, 23.00 Uhr) ums dokumentarische Erzählen - mehr dazu in tv.ORF.at.
Zu den ersten Highlights gehören "Schlurf", "Big Alma" - Auftakt eines großen Alma-Mahler-Schwerpunkts -, "Inside Deep Throat" und "Workingman's Death". Michael Glawoggers Dokumentation über Schwerarbeit im 21. Jahrhundert ist beklemmend, wuchtig und nicht nur visuell atemberaubend.
Neue, alte Arbeit
Der österreichische Filmemacher zeigt in fünf Episoden eine Art "unbekannte Globalisierung", sowohl abseits von Sweat-Shops als auch von High-Tech-Outsourcing. "Bilder der Arbeit im 21. Jahrhundert" nennt Glawogger seinen Film zynisch: Es ist Arbeit, die ihren Ursprung im 20., im 19. Jahrhundert hat oder noch früher.
Eine Gruppe von Minenarbeitern in der Ukraine baut auf eigene Faust in eigentlich schon längst aufgelassenen Gruben weiter Kohle ab, um das Überleben ihrer Familien zu sichern.
Das Ende eines Tankers
In Indonesien bauen Arbeiter Schwefel aus einem Vulkankrater ab - und sind ein beliebtes Motiv für Touristen, wenn sie bis zu 120 Kilo den Berg hinunterschleppen.
In Pakistan beobachtet Glawogger Schweißer beim "Shipbreaking", der Dekonstruktion von ausrangierten Supertankern. Fast unglaublich sind Szenen, in denen eine tonnenschwere Stahlwand nach der anderen vom riesigen Tankschiff "Sea Giant" abgelöst wird und 100 Meter weit ins Wasser fällt.
Die Porno-Revolution
Grundverschieden, aber nicht minder faszinierend: "Inside Deep Throat", die US-Dokumentation über einen billigen Porno-Film, der Anfang der 70er ein gesellschaftliches Erdbeben auslöste.
"Deep Throat" ist eine der profitabelsten Produktionen der Filmgeschichte. Regisseur Gerald "Jerry" Damiano drehte den Film im Jänner 1972 innerhalb von sechs Tagen in Florida. Sein Budget: 25.000 US-Dollar.
Dass "Deep Throat" das Kunststück schaffen würde, sich als erster Porno-Streifen vom schmuddeligen Image der Konkurrenz zu lösen und im Mainstream zu etablieren, konnte er nicht ahnen.
Heftige Debatten
Die Dokumentation von Fenton Bailey und Randy Barbato zeigt die Gründe auf, wie der Film in ganz normale Kinos kommen konnte und bis heute 600 Millionen Dollar verdiente.
Der Massenerfolg rief in den 70ern Politik und Justiz auf den Plan: 23 US-Staaten setzten den Film auf den Index, Kinobesitzer wurden verklagt. Heftige Debatten über sexuelle und künstlerische Freiheit waren die Folge.
Vergessene Rebellen
Den Auftakt zu "dok.film" macht bereits am 15. April "Schlurf" von Monica Ladurner und Wolfgang Beyer. Die Dokumentation erzählt von einer vergessenen Rebellion von Jugendlichen, die sich dem Nazi-Regime nicht beugen wollten.
Ihre Lebenskultur stand im diametralen Gegensatz zu den Idealen des nationalsozialistischen Regimes: Sie waren locker gekleidet und frisiert, und sie liebten die "entarteten" Genres Jazz und Swing.
Weitere "dok.filme" sind "66 Sommer und ein Bad" über das öffentliche Schwimmbad des slowakischen Kosice als Spiegel der Zeit von 1936 bis 2002, das eigenwillige Filmporträt "Horst Buchholz - Mein Papa", "Marlene Dietrich - Her Own Song" und "Rhythm Is It!", eine Liebeserklärung an tanzende Teenager und ihre Mentoren.
Neuer Platz für Spielfilme
Neben "dok.film" gibt es im neuen ORF-Programmschema, das am 10. April in Kraft tritt, zwei weitere Flächen für den anspruchsvollen Film: "art.film" (montags, ca. 24.00 Uhr, ORF2) ist dem internationalen Arthouse-Kino gewidmet. Zu den ersten Filmen der Reihe gehören "About Schmidt", "Pollock", "Wahnsinnig verliebt", "Sade" und "Unter der Sonne der Toskana".
"euro.film" (freitags, 22.30, ORF2) ist der fixe Sendeplatz für den europäischen Film, etwa "Der Pianist", "Good Bye, Lenin!", "Cache", "Die fetten Jahre sind vorbei" und "Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran".
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