"Alles, was den Geschlechtsakt umkreist"

Die Kunst der letzten 150 Jahre war an vielen Punkt oft alles andere als keusch.
Nach der fulminanten Schau über das Frühwerk von Marc Chagall hat das Bank Austria Kunstforum in Wien ab 1. März einen garantierten weiteren Publikumsmagneten im Talon: "Eros in der Kunst der Moderne" heißt die in Kooperation mit der Fondation Beyler in Basel entstandene Schau, die die Spielarten des Erotischen in der Kunst von der Malerei des 19. Jahrhunderts über die Plastik der Jahrhundertwende bis zur Gegenwartskunst abtastet - mehr dazu in wien.ORF.at.

Die Schau im Kunstforum visiert damit jene Zeit an, in der vor allem das (meist von Männerhand geschaffene) Frauenbild immer eindeutiger und auch frivoler wird. Unverschämt blickt man dabei auch auf die Darstellung der Geschlechtlichkeit: etwa auf Zeichnungen von Gustav Klimt, die für den Privatgebrauch eines ausschließlich männlichen Publikums bestimmt waren.

Trotzdem will diese Schau nicht das Thema Pornografie herunterdeklinieren, wie Kunstforum-Chefin Ingried Brugger zuletzt gegenüber Ö1 erinnerte: Erotik sei nicht der Geschlechtsakt selbst, sondern alles, was ihn umkreist - "vorher und nachher".

Belebung der Kunst
©Bild: Max Ernst, BA-CA-Kunstforum
©Bild: Max Ernst, BA-CA-Kunstforum
Dennoch, man darf bei der Schau durchaus ältere Gedanken mit im Kopf führen, etwa die Pygmaliontik-Debatte des späten 18. Jahrhunderts über den Wunsch, die tote Bildsäule möge sich gerade im erotischen Kontext beleben lassen.

So träumte sich schon Johann Gottfried Herder in seiner "Plastik" (1770/78) in einen Zustand, in dem die ästhetische Wirkung einer Marmorfigur in eine direkt sinnliche Empfindung umschlägt.

"Seht jenen Liebhaber", schreibt Herder, "der tiefgesenkt um die Bildsäule wanket. Was tut er nicht, um sein Gesicht zum Gefühl zu machen, zu schauen, als ob er im Dunkeln taste? (...) Sein Auge ward Hand, der Lichtstrahl Finger, oder vielmehr seine Seele hat einen noch viel feineren Finger, als Hand und Lichtstrahl ist, das Bild aus des Urhebers Arm und Seele in sich zu fassen. Sie hats! Die Täuschung ist geschehen: Es lebt, sie fühlt, dass es lebe; und nun spricht sie, nicht, als ob sie sehe, sondern taste, fühle."

"Die Kunst ist niemals keusch"
Die im Kunstforum präsentierten Werke von 35 international renommierten Künstlern könnte man alle unter Picassos bekanntes Diktum stellen, dass "die Kunst niemals keusch" ist.

Das Spektrum der Auseinandersetzung mit dem Eros reicht von französischen Positionen um Edgar Degas, Gustave Courbet und Auguste Renoir über die teils expliziten Bilder Klimts und Schieles bis hin zur Pop-Art und Konzeptkunst der Gegenwart.

©Bild: Robert Mapplethorpe, BA-CA-Kunstforum
©Bild: Robert Mapplethorpe, BA-CA-Kunstforum
Vor den Augen des Betrachters entsteht eine Art Kunstgeschichte des Erotischen: Der Blick führt über diverse Stationen der Aktmalerei, anhand derer evident wird, wie sehr die Hüllen der Konvention fallen, bis hin zu Thematisierungen des Erotischen, die vor allem auf die Fantasie des Betrachters abzielen.

Männlicher Blick durchkreuzt
Die in der Ausstellung gezeigten Arbeiten von Marlene Dumas, Louise Bourgeoise und Jenny Holzer markieren zudem einen Bruch mit den doch sehr männlich kodierten Blicken auf den nackten Körper.

©Bild: Francis Bacon, BA-CA-Kunstforum
©Bild: Francis Bacon, BA-CA-Kunstforum
Interessant sind die Auseinandersetzungen von Francis Bacon und Lucian Freud mit dem Thema Eros. Freud bietet eine schonungslose und zugleich lebhafte Auseinandersetzung mit dem Thema Fleischlichkeit (mit seiner traditionellen Vorliebe für alle Spielarten des Farbtons Karnat), das Bacon bis zur Konturlosigkeit entgrenzt. Beide Künstler markieren vielleicht den heimlichen Höhepunkt der Schau.

©Bild: Rebecca Horn, BA-CA-Kunstforum
©Bild: Rebecca Horn, BA-CA-Kunstforum
Wie schon bei der Chagall-Ausstellung wird man am Ende der Schau wieder den Blick zurück zu früheren Stationen der Ausstellung lenken wollen. Man wird hängen bleiben an der farbigen Unbeschwertheit Pierre Bonnards, den abgründigen Körpermodellen der Surrealisten und sich festklammern am Bettrahmen Rebecca Horns, bei der Schmetterlinge mechanisch auf dem "Bett der Liebenden" turnen.

Gerald Heidegger, ORF.at

Ausstellungshinweis
"Eros in der Kunst der Modern", BA CA Kunstforum Wien, 1.3. bis 22.7.2007. Zur Ausstellung ist ein umfangreicher Begleitkatalog im Verlag Hatje-Cantz erschienen.

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