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Auden hatte sich Ende der 50er Jahre gemütlich in der Ortschaft Kirchstetten eingerichtet und ein paar hundert Meter von jenem Haus, in dem sich der Dichter Josef Weinheber im Jahr 1945 das Leben genommen hatte, ein kleines Bauernhaus gekauft. Dort lebte er, wie es Auden gegenüber der Fernsehkamera umschrieb, mit seinem Kollegen Chester Kallmann.
Jeden Sonntag in der heiligen Messe
In den späten 60er Jahren war das Thema Homosexualität in den Medien ein Tabu, und man darf annehmen, dass Auden und Kallmann in ihrem Refugium stets Fremde blieben - auch wenn Auden im Fernsehinterview die Freundlichkeit des Fleischhauers lobt, ein Passant von "da Auden, unsa Dichta", spricht und nämlicher selbst jeden Sonntag in der heiligen Messe erschien.
Auden hatte sein Anwesen in Hinterholz 6 für 120.000 Schilling erworben, Geld, das er durch die Verleihung des italienischen Feltrinelli-Preises hatte. Dort richtete er sich mit Kallmann ein nach strengen Zeitabläufen ausgerichtetes Leben ein.
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Ein Arkadien im Wienerwald?
Dass Auden ausgerechnet nach Kirchstetten zog, mag bizarr erscheinen. Für den am 21. Februar 1907 im nordenglischen York geborenen Schriftsteller, der wegen seiner Hühneraugen in späten Jahren stets in den Hauspatschen herumlief und diese angeblich auch in die Oper trug, hatte der Ort Kirchstetten ein paar ganz besondere Vorzüge.
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Es war nicht so heiß und laut wie im früheren Feriendomizil Ischia, man war auf dem Land unter Weintrinkern, im nahen Wien gab es ein bedeutendes Opernhaus - und: Man sprach Deutsch. Ein Umstand, der für den Goethe-Liebhaber Auden wichtig war: Er wollte Deutsch sprechen, ohne in Deutschland leben zu müssen.
Die Österreicher? "Voll schwarzer Melancholie"
Zu den Einheimischen pflegte er ein freundliches, wenn auch meist distanziertes Verhältnis, wie etwa der Betreuer des Auden- Museums in Kirchstetten, der Weinheber-Sohn Christian Weinheber-Janota, schildert: Auden sei in den Ort, auch ins Wirtshaus, gegangen. Dort sei er aber meist an einem Tisch alleine gesessen und habe das Geschehen beobachtet.
Österreich und die Österreicher beschrieb Auden ganz trefflich in so manchem Gedicht. Gegenüber dem ORF charakterisierte er die Bewohner seines Gastlandes so: "Nach außen fröhlich und gemütlich, von innen voller schwarzer Melancholie". Im Gedicht "Stark bewölkt" (das im englischen Original auch so getitelt ist, 1971), schreibt Auden über Österreich:
"The Beamterei, it's true,
is as awful as ever,
the drivers are dangerous,
standards at the Staatsoper
steadily decline each year,
and Wien's become provincial
compared to the pride She was.
(...)
Still it's a cosy country,
unracked by riots or strikes
and backward at drug-taking.
("Die Beamterei, das stimmt,
ist so furchtbar wie immer,
die Fahrer sind gefährlich,
das Niveau der Staatsoper
sinkt jedes Jahr tiefer,
und Wien wurde provinziell,
bedenkt man, wie stolz es war.
Noch immer ist es ein gemütliches Land, ungestört von Randalen und Streiks
und rückständig beim Drogenkonsum.")
"Poetry makes nothing happen"
Auden hatte wenige Jahre vor seinem Tod ein friedlich-ironisches Verhältnis zur Gesellschaft, der Kirche und der Rolle von Literatur. Von einer engagierten Literatur im Stile Sartres hielt der frühere Marxist Auden im Alter wenig - eine Haltung, die ihn in den 60er Jahren um den Literaturnobelpreis brachte.
"Die politische und soziale Geschichte wäre nicht anders verlaufen, hätten Dante, Michelangelo oder Byron nicht gelebt", so Auden 1969 - oder, wie es in einem Vers knapp heißt: "For poetry makes nothing happen: it survives" ("In Memory of W.B. Yeats", 1939).
Die Kirche, von der er sich mit seinem Kollegen Christopher Isherwood in den Studienjahren in Oxford noch entschieden distanzierte, suchte er im Alter mit einer geradezu treuen Regelmäßigkeit auf (angeblich leitete der im Spanischen Bürgerkrieg erlebte Umgang mit Kirche und Ordensleuten auf republikanischer Seite eine Wende seiner Ansichten ein). Auch die eigene Homosexualität wurde ihm in späteren Jahren zum Problem, was er in seinen Gedichten thematisierte.
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Vor Überraschungen nicht gefeit
Audens Gedichte, nicht nur jene, die er in Österreich verfasste, sind heimtückisch. In den parlandohaften Ton oder die beschworene Alltäglichkeit baut er nicht selten schneidende Beobachtungen ein, die in ihrer Drastik entwaffnend sind. So heißt es etwa im Gedicht "The Cave of Making" aus dem Gedichtzyklus "Thanksgiving for a Habitat" (1964):
"(...) more than ever
life-out-there is goodly, miraculous, loveable,
but we shan't, not since Stalin and Hitler,
trust ourselves ever again. We know that, subjectively,
all is possible."
"Sosehr es auch zutrifft, dass Auden alltäglichste Sätze zur Poesie werden lassen konnte, in diesen Dichtungen ist man vor ungewöhnlichen Überraschungen nie sicher", schrieb Rüdiger Görner in seiner Würdigung Audens jüngst in der "Neuen Zürcher Zeitung". Görner erinnert dabei an das zwischen 1944 und 1946 entstandene "Age of Anxiety" ("Zeitalter der Angst"), ein Titel, der bis zur Gegenwart in höchst unterschiedlichen Kontexten immer wieder zitiert wird. Auden gibt dem Erschrecken des Menschen über sich selbst eine Stimme. So heißt es etwa:
"For we are conscripts to our age
Simply by being born; we wage
The war we are."
("Wir sind Rekruten unserer Zeit
Einfach, indem wie geboren sind, führen wir
den Krieg, der wir selbst sind")
Späte Elegie des Alltags
An seine große, modernistische Phase konnte der Pulitzer-Preisträger Auden in seiner österreichischen Sommerfrische-Zeit nicht mehr anschließen - seine sprachliche Meisterschaft blieb, auch wenn sie sich eher elegisch auf die Dinge des Alltags richtete.
Auden lebte einen strengen Tagesablauf, der schon in aller Herrgottsfrüh mit Zigaretten begann und in zunehmendem Alter immer mehr Alkohol schon zu früher Stunde zu sich nahm. Mit Kallmann, mit dem er einst das Libretto zu Strawinskys Oper "The Rake's Progress" (1951) geschrieben hatte, führte er ein pragmatisches Leben. Jeder von beiden hatte seine Liebschaften, Kallmann suchte immer wieder in Griechenland nach Vergnügungen, Auden hatte in Kirchstetten seinen "bed-vistor" namens "Hugerl", der ebenfalls in der Lyrik zu Ehren kam.
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Ein Paar, das Rätsel aufgab
"Wie es das ungleiche Paar Auden-Kallmann schaffte, an gemeinsamen Projekten zu arbeiten, war selbst vielen Freunden ein Rätsel", erinnert Andreas Brunner in der "Wiener Zeitung". 1961 und 1966 kooperierten Auden und Kallmann für die Libretti zu zwei Opern von Hans Werner Henze ("Elegie für junge Liebende" von Henze und Nicolas Nabokov, 1961 und "Die Bassariden", 1966).
Im Herbst 1973 war Auden, der auch den Österreichischen Staatspreis für europäische Literatur erhalten hatte, wieder einmal zu einem Termin in Wien. Nach einer Lesung in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur zog er sich müde in sein Hotel in der Walfischgasse zurück. Es war die letzte Nacht von Wystan Hugh Auden.
"Ich meint', Liebe währt ewig"
Auden wurde auf dem Friedhof von Kirchstetten begraben. Zum Begräbnis erschien auch sein alter Weggefährte Stephen Spender. Beim Kondukt gab es Siegfrieds Trauermarsch zu hören. Zum Grab hätten auch jene Auden-Verse gepasst, die dem eigenbrötlerischen Schriftsteller durch den Film "Vier Hochzeiten und ein Todesfall" (1994)noch einmal Weltruhm verschafften. Ein Mann, es hätte durchaus auch der am Grab stehende Kallmann sein können, trauert im "Funeral Blues" um seinen Liebhaber:
"Er war mir Norden, Süden, Ost und West
mein Arbeitstag, mein Sonntagsfest
Mein Lied, mein Wort, mein Mittag, meine Nacht.
Ich meint', Liebe währt ewig: doch falsch gedacht."
Gerald Heidegger, ORF.at
Hinweis
Das ehemalige Wohnhaus von W. H. Auden am Waldrand von Kirchstetten beherbergt ein kleines Museum, in dem auch das Arbeitszimmer des Schriftstellers zu besichtigen ist. Am 4. März gedenkt die Gemeinde Audens mit einer kleinen Veranstaltung. Das Museum ist ebenso wie das Weinheber-Haus nach Voranmeldung zu besichtigen. Kontakt: Christian und Brigitte Weinheber-Janota, Tel. 02743/8989.
Audens Werke
Audens Werke sind auf Deutsch zurzeit nicht im Buchhandel lieferbar und nur antiquarisch verfügbar (vgl. ZVAB, Abebooks u. a.).
Auf Englisch liegen Audens gesammelte Gedichte (darin auch alle hier zitierten Gedichte) in der Ausgabe von Edward Mendelson beim Vintage-Verlag vor. W. H. Auden: Collected Poems, Vintage, 960 Seiten, ca. 25 Euro.
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