Spionage aus dem Jenseits?

Die "Hexe" und der Geheimdienst.
Gut 50 Jahre nach ihrem Tod soll die letzte rechtskräftig verurteilte "Hexe" des britischen Königreichs und zugleich ganz Europas jetzt rehabilitiert werden.

Als die schottische Wahrsagerin und Geisterbeschwörerin Helen Duncan 1944 nach einem Gesetz gegen Hexerei aus dem Jahr 1735 zu neun Monaten Haft verurteilt wurde, zweifelte sogar Winston Churchill am Menschenverstand seiner Landsleute.

"Hexenbrut"
Heute kämpft Duncans Enkelin Mary Martin, damals elf Jahre alt, noch immer für eine Aufhebung des Urteils. Sie hat die Hänseleien und Demütigungen als "Hexenbrut" bis heute nicht vergessen.

Duncans Familie in Edinburghs Arbeitervorort Craigmillar war gebrandmarkt, als die Hausfrau und Mutter von sechs Kindern ihre Strafe im Londoner Frauengefängnis Holloway antrat. "Das ging wie ein Aufschrei durch alle Zeitungen", so Martin.

Angst vor D-Day-Enthüllungen
Hinter dem Urteil stand der Militärgeheimdienst. Man bereitete gerade intensiv den D-Day und damit die entscheidende Offensive gegen Nazi-Deutschland vor. Kein Wunder also, dass Duncans jüngste Aktivitäten in dieser aufgeheizten Stimmung bei den Militärs die Alarmglocken schrillen ließen.

Die Wahrsagerin hatte bei Seancen angeblich die Geister von verstorbenen Matrosen heraufbeschworen; damit war klar, dass deren Schiffe gesunken waren - eine Tatsache, die die Marineführung geheim gehalten hatte.

Duncan galt plötzlich als Gefahr für die nationale Sicherheit. Aus Angst davor, dass Details über den D-Day an die Öffentlichkeit gelangen könnten, sollte sie mundtot gemacht werden.

"Warum hätte sie das Land gefährden wollen?"
Bei einer Seance in Portsmouth wurde sie im Jänner 1944 verhaftet und zunächst wegen Betrugs und Verschwörung angeklagt. "Die Festnahme war wirklich dumm", sagte Martin im "Guardian".

"Wenn sie mit ihr gesprochen hätten, hätte sie ihre Seancen bis zum Kriegsende unterbrochen. Zwei ihrer Söhne waren bei der Marine, einer bei der Luftwaffe. Warum hätte sie das Land gefährden wollen?"

Beim Prozess wurde schließlich das Anti-Hexen-Gesetz von 1735 hervorgeholt, das zuvor hundert Jahre nicht mehr zur Anwendung gekommen war.

Unseriös
Duncan war damals schon ein in ganz Großbritannien bekanntes Medium. Premierminister Winston Churchill und König George VI. sollen ihre Dienste in Anspruch genommen haben.

Dabei wurde ihr schon in den 30ern vorgeworfen, dass die "Geister" in ihren Seancen Schaumgummi-Puppen, die "Ektoplasmen" Eiweiß oder ähnliche zuvor verschluckte Stoffe seien.

Churchill schaffte Gesetz 1951 ab
Kriegspremier Churchill soll die Frau dennoch im Gefängnis besucht haben. Das Urteil bezeichnete er als "Albernheit". 1951, in seiner zweiten Amtszeit, setzte er schließlich die Abschaffung des Hexengesetzes durch. Doch das 1944 gefällte Urteil gegen Duncan, die 1956 verbittert starb, blieb rechtskräftig.

"Ungerechtigkeit"
Jetzt hat Martin - nach einem erfolglosen ersten Versuch 1999 - eine Kampagne gestartet, um ihre Großmutter posthum zu rehabilitieren.
Unterstützt wird sie vom schottischen Baron Gordon Prestoungrange, der eine Petition für Duncans Ehrenrettung gestartet hat.

"Ihre Bestrafung war genauso eine Ungerechtigkeit wie die Schandurteile gegen Hexen im 16. und 17. Jahrhundert", so Prestoungrange.

Über 80 Hexen rehabilitiert
Mehr als 80 Hexen und Hexer, die vor Jahrhunderten in seiner Gegend hingerichtet worden waren, hat der Baron kraft seines Amtes bereits für rehabilitiert erklärt.

Helen Duncan kann er diesen Dienst nicht erweisen. Weil sie seinerzeit vom obersten Strafgericht in London verurteilt wurde, könnte ihre Ehrenrettung nur auf offizielle Empfehlung der Regierung durch die Königin erfolgen.

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