"Tschernobyl in Zeitlupe"

Hunderte Atom-U-Boote liegen samt Reaktoren im Wasser. Geld für Entsorgung fehlt.
Sechzig Jahre nukleares Wettrüsten haben ihre Spuren hinterlassen: Auf der russischen Kola-Halbinsel an der Grenze zu Norwegen rotten Tausende Tonnen radioaktive Abfälle vor sich hin.

Die Werft Sewmasch in der Stadt Sewerodwinsk produzierte Atom-U-Boote für die sowjetische Nordmeerflotte in Serie, nun lagern dort ihre Wracks - Relikte des Kalten Krieges und eine tickende Zeitbombe für Mensch und Natur.

Über 100 Atom-U-Boot-Wracks
Seit der Geburtsstunde der sowjetischen Atom-U-Boot-Flotte im Jahr 1957 wurden fast 200 der Schiffe ausgemustert und liegen in den Buchten der Barentssee vertäut. Die Reaktoren wurden bis heute nicht einmal aus der Hälfte der U-Boote entfernt.

Zeitbombe "Lepse"
"Im Rüstungswettlauf vor 40, 45 Jahren wurde die Atomindustrie auf der Kola-Halbinsel konzentriert", erklärte Sergej Schaworonkin, Büroleiter der norwegisch-russischen Umweltschutzorganisation Bellona in Murmansk.

Bellona bemüht sich seit Jahren um Aufklärung über die nukleare Gefahr in diesem Gebiet. Ein besonderes Problem, das mit ausgebrannten Kernbrennstoffen vollgeladene Versorgungsschiff "Lepse", liegt dort in unmittelbarer Nähe zur 430.000 Einwohner zählenden Stadt Murmansk im Wasser und rostet vor sich hin.

Ein schleichendes Tschernobyl
Im Atom-U-Boot-Friedhof von Gremicha liegen Dutzende Rümpfe von U-Booten in den Docks. Matrosen müssen in regelmäßigen Abständen Wasser abpumpen, damit die Wracks nicht sinken, berichten russische Umweltschützer. Sie sprechen von einem "Tschernobyl in Zeitlupe".

Insgesamt beziffern Umweltschutzorganisationen die Mengen an nuklearem Müll mit 17.000 Containern auf dem Meeresboden, 24.000 Brennstäben und 274 Reaktoren und auf der Halbinsel.

Es fehlt an Geld
Russland fehlt es zur Beseitigung der Altlasten des Kalten Krieges an Geld.

Erst langsam und mit massiver Unterstützung aus dem Ausland macht sich Moskau daran, die Gefahr zu bändigen. Mit der Formel "Zehn plus zehn in zehn" war der russischen Regierung im Jahr 2002 Hilfe zugesagt worden.

Hilfe von den G-8
Die USA wollen in zehn Jahren zehn Milliarden Dollar aufbringen, die übrigen sieben G8-Mitglieder einschließlich Russlands noch einmal soviel, um den nuklearen Schrott zu beseitigen.

Ein Großteil des Geldes muss für die Kola-Halbinsel verwendet werden. Auch die skandinavischen Nachbarn Norwegen und Schweden helfen mit.

Bergung mit deutscher Unterstützung
Derzeit läuft ein Projekt, bei dem mit Hilfe aus Deutschland die Wracks und Reaktorrümpfe aus Gremicha an Land gebracht und für die Dauer von 70 Jahren in einem Zwischenlager gesichert werden.

2004 wurden bereits zehn Reaktorsektionen und Rümpfe aus dem Wasser geholt, in der nahe gelegenen Werft Nerpa zerlegt und vorkonserviert.

Putin "besorgt"
Inzwischen hat auch die Regierung in Moskau erkannt, dass bei der Bergung der Wracks die Zeit drängt.

Präsident Wladimir Putin äußerte sich Ende 2004 "besorgt" über den Zustand der Deponien. Lagerung und Wiederaufbereitung der Altlasten seien völlig unzulänglich, musste Putin einräumen.

"Die Lösung dieser Probleme ist seit langem überfällig. Sie darf nicht weiter verschoben werden", forderte damals der Kreml-Chef.

70 Mio. Tonnen Atommüll
Insgesamt sitzt Russland auf einem Berg von vorsichtig geschätzten 70 Mio. Tonnen radioaktivem Müll. Sichere Endlager gibt es kaum.

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