Ein Laufstegverbot für allzu dürre Mannequins, wie es in Madrid vor wenigen Monaten erstmals ausgesprochen wurde, wird von den Vertretern der Industrie einhellig abgelehnt. Die Ästhetik müsse den Designern überlassen bleiben, so etwa die Organisatoren der Londoner Fashion Week, die Mitte September parallel zur Madrider Modewoche lief.
Doch Ärzte warnen vor den zerstörerischen Folgen des Magerkeitswahns für junge Mädchen und Frauen.
Szene gegen Vorschriften
"Die Mädchen werden immer dünner", räumt der Mitarbeiter einer Pariser Modelagentur ein, der nicht genannt werden möchte. In den 80er Jahren habe es noch sinnliche, üppige Frauen in seinen Katalogen gegeben, aber das sei heute eindeutig vorbei. "Dünner geht es bald nicht mehr", bedauert der Fachmann das gängige Schönheitsideal.
Zu dürre Frauen von den Laufstegen zu verbannen, hält er aber für sinnlos. In Madrid war für die Modenschau "Pasarela Cibeles" ein Verbot für Mannequins verhängt worden, die nicht den Mindestwert 18 auf der Skala des Body-Mass-Index (BMI) erreichen, eines von der Weltgesundheitsorganisation aufgestellten Index, der aus Gewicht und Körpergröße errechnet wird.
Ein BMI von 18 entspricht einem Gewicht von 56 Kilogramm bei einer Größe von 1,75 Metern.
Hüftumfang entscheidend
Die Modeprofis halten das für Unsinn: "Wir wissen ja gar nicht, was die Mädchen wiegen", das Gewicht sei überhaupt kein Kriterium, versichert Karen Pfrunder von der auf Modenschauen spezialisierten Agentur Reflex Event in Paris. "Das Entscheidende ist der Hüftumfang von 90 Zentimetern", sagt die Casting-Direktorin.
"Das ist natürlich bei einer Größe von 1,80 Metern nicht leicht zu erreichen", räumt sie ein, aber auch sie kann nicht erklären, wo diese Anforderung herkommt. "Die Mode ist eben so, und sie war immer so."
Frauen sind dünner, als sie glauben
Dem widersprechen allerdings die Ergebnisse diverser Studien über Bild und Selbstbild der Frau in den westlichen Gesellschaften. Demnach ist das Ideal der dünnen Frau erst in den vergangenen 20 Jahren entstanden.
Eine der Folgen ist, dass Frauen sich selbst durchwegs als dicker empfinden, als sie in Wirklichkeit sind, stellten Forscher fest.
Frauen mit einem BMI von 18,5 bis 25, deren Gewicht vom medizinischen Standpunkt völlig normal ist, tauchen seit den 80er Jahren reihenweise bei Ärzten und Ernährungsberatern auf, um abzunehmen.
Auf Cover immer halbnackt
Diese Entwicklung entspricht auch dem Image des weiblichen Körpers in den Medien. Eine Studie des Pariser Instituts für Politikwissenschaft ergab, dass seit dem Jahr 1985 selbst die Winterausgaben der Magazine, auf denen einst noch Damen in Pelzmänteln zu sehen waren, nur noch dünne, weitgehende nackte Frauen abbilden.
Und die Zahl der in den Zeitschriften propagierten Diäten stieg von 17 pro Jahr zu Beginn der 80er Jahre auf mehr als 60 in den Jahren 1999 bis 2001.
Gefährliches Ideal
Die 15- bis 20-jährigen Mädchen und Frauen von heute kennen nur dieses eine Schönheitsideal, bedauert die Spezialistin für Innere Medizin, Annie Lacuisse-Chabot. Der Versuch, sich auf das Format der Topmodels herunterzuhungern, sei sehr gesundheitsschädlich, warnt die Endokrinologin.
"Sie sind unterernährt und greifen damit ihre Körpersubstanz an" - die Folgen sind nicht nur körperliche, sondern auch seelische Störungen, die bis zum Selbstmord führen können.
Medien zu feige?
Doch statt die hageren Vorbilder zu verbannen, sollten die Zeitschriften sie eher im schlechten Licht zeigen, meint Sylvie Fabregon, die bei einer Modelagentur arbeitet.
"Die müssten einfach wagen, neben das Foto eines dünnen Models zu schreiben: 'Seht nur, wie hässlich!' Stattdessen steht dort: 'Fünf Kilo weniger bis zum Sommer'."
Dominique Schroeder/Isabelle Parenthoen, AFP