Helge Schneiders "Bekenntnisse"
So hat etwa Helge Schneider wieder zugeschlagen. In seinem neuesten Roman "Die Memoiren des Rodriguez Fazanatas. Bekenntnisse eines Heiratsschwindlers" schlüpft Schneider in die Rolle eines Polygamisten und schreibt dessen Autobiografie - inklusive 14 "lecker" Kohlezeichnungen von Fazanatas persönlich.
Das irrwitzige und leider allzu kurze Leben des Heiratsschwindlers birgt so einige Überraschungen und unglaubliche Wendungen. Während Fans bei der Lektüre des Komikwahnsinns sicher schallend lachen können, wird bei weniger gewogenen Lesern die Ratlosigkeit ob des Irrsinns vorherrschen.
Helge Schneider: Die Memoiren des Rodriguez Fazanatas. Bekenntnisse eines Heiratsschwindlers. Kiepenheuer & Witsch, 128 Seiten, 7,20 Euro.
Die Werwölfe Russlands
Wiktor Pelewin, neben Vladimir Sorokin einer der wichtigsten zeitgenössischen russischen Autoren und Kritiker des System Putins, wendet sich in seinem jüngsten Roman "Das heilige Buch der Werwölfe" der russischen Wirklichkeit einmal von anderer Seite zu.
Als eine Art Sexwundermaschine schlagen sich die Werwölfe und Werfüchse in Putins Russland mehr recht als schlecht durch. Einziger Kritikpunkt: Zu sehr lässt sich Pelewin in einigen Passagen über die Werwölfe aus, erklärt ihre Herkunft und ihre Kultur, was den Lektürefluss und auch die Spannung etwas bremst.
Wiktor Pelewin: Das heilige Buch der Werwölfe. Luchterhand, 352 Seiten, 20,60 Euro.
Die Welt des Imre K.
Mit seinem "Dossier K." hat Imre Kertesz die Autobiografie der Saison vorgelegt. Auf 288 Seiten (mit 80 Schwarz-Weiß-Abbildungen) nimmt der Autor den Leser nicht nur auf einen unsentimentalen Streifzug durch sein Leben, sondern auch auf eine Tour de Force durch die europäische Zeitgeschichte mit.
Ohne jammernde Eingeständisse von Sünden der Vergangenheit oder bildungsbürgerlichen Habitus (beides hat man heuer schon in Biografien gelesen) entwickelt Kertesz ein scharfsichtiges Frage-Antwort-Spiel, dessen Sog man sich nicht entziehen kann.
Imre Kertesz: Dossier K. Eine Ermittlung. Rowohlt, 288 Seiten, 20,50 Euro.
Besser als Dan Brown
In die Fußstapfen von Dan Brown steigt der spanische Autor und Professor für Filmgeschichte, Agustin Sanchez Vidal, mit seinem Roman "Kryptum". Doch wo Brown ins Fantastische und auch teils historisch Unkorrekte abgleitet, bleibt Sanchez akkurat.
Auch bei ihm herrschen Entführung, Mord und Verschwörung vor. Doch Sanchez begibt sich zu noch älteren Spuren: Er sucht nicht weniger als die Weltformel, und die verweist auf das alte Babylon. Mit Hilfe eines Kryptologen soll sie entziffert werden.
Doch auch der US-Geheimdienst NSA begibt sich auf die Suche nach dem verlorenen Schatz, und erst langsam wird ein mörderischer Plan offenbar. "Kryptum" ist gleichzeitig Krimi, Abenteuerroman und Wissenschaftsthriller und mischt historische Figuren mit erfundenen.
Agustin Sanchez Vidal: Kryptum. dtv Premium, 754 Seiten, 17,00 Euro.
Dunkler Polit-Thriller
Der albanische Langzeitdiktator Hodscha hat einen Nachfolger auserkoren, der aber schon bald nach Amtsantritt in Ungnade fällt und schließlich Selbstmord begeht - oder doch nicht? Einen dunklen, poetischen Polit-Thriller hat der albanische Autor Ismail Kadare mit "Der Nachfolger" vorgelegt.
Nichts ist in dem Roman so, wie es scheint. Wird überhaupt ermittelt? Der Machthaber spricht in Chiffren, selbst der wahrscheinliche Mörder bleibt ratlos zurück. Und der nächste Nachfolger steht schon in den Startlöchern. Ist sein Todesurteil bereits unterschrieben?
Virtuos beschreibt Kadare die subtilen Machtmechanismen der Diktatur in einer irreal anmutenden Gesellschaft, die zwischen Tratsch und Angst, zwischen Strebertum und Widerstand oszilliert. Kadare muss es wissen - er war trotz kritischer Töne selbst eine Stütze des Hodscha-Regimes.
Ismail Kadare: Der Nachfolger. Ammann Verlag, 174 Seiten, 19,50 Euro.
Kultbuch in den USA
Auf die Suche nach den Plätzen, wo Pop- und Rockstars unter den verschiedensten Umständen zu Tode gekommen sind, macht sich Chuck Klosterman in seinem Buch "Eine zu 85 % wahre Geschichte".
Auf dem Road-Trip quer durch die USA will Klostermans Musikjournalisten-Alter-Ego auch gleich sein Liebesleben entwirren. Abschiede und Begegnungen sorgen bisweilen für melancholische Stimmung: in den USA ein Kultbuch.
Chuck Klosterman: Eine zu 85 % wahre Geschichte. S. Fischer, 288 Seiten, 19,50 Euro.
Lieblingsbuch der Feuilletonisten
Mit viel Ironie erzählt Marina Lewycka in ihrem hoch gelobten Debütroman "Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch" das Schicksal einer ukrainischen Familie, die im Westen ein neues Zuhause findet.
Die Bestsellerlisten eroberte das Buch mit dem skurrilen Titel bereits im Sturm. Als "wunderbar klug" bezeichnete es "Die Welt", "weit mehr als nur ein witziges Buch mit politischen Untertönen", schwärmte die "Times".
Zweifellos gelungen ist das Wechselspiel von Komik und Tiefgang: Humorvolle Familienquerelen finden in Lewyckas Erzählung ebenso ihren Platz wie die dunkelsten Kapitel der jüngeren europäischen Geschichte.
Marina Lewycka: Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch. dtv, 359 Seiten, 14,40 Euro.
Die Kraft der Trauer
Ein weiteres Liebkind der Buchkritiker ist John Banville. Sein jüngstes Werk "Die See" handelt von einem jungen Mann, der den Krebstod seiner Frau verarbeiten muss. Max reist an den Urlaubsort seiner Kindheit am Meer.
Rhyhthmusbetont und sprachlich überzeugend folgt Banville dabei dem überladenen Bewusstseinsstrom von Max durch Kindheits- und Jugenderinnerungen (die ersten Sexfantasien ...) und immer, immer wieder den Gedanken an Anna; ein trauriger und dennoch kraftvoller Roman.
John Banville: Die See. Kiepenheuer & Witsch, 219 Seiten, 18,40 Euro.
Im Vollrausch durch die Sowjetunion
Der jüngst auf Deutsch erschienene, bereits 1992 verfasste Roman "Moscoviada" des ukrainischen Starautors Juri Andruchowytsch ist ein Streifzug durch das Moskau zur Zeit des Zerfalls der Sowjetunion.
Volltrunken wankt ein Literaturstipendiat durch die Stadt, die wie er selbst den Niedergang des Imperiums widerspiegelt. Der zotige Studentenroman mit jeder Menge Suff und Sex entwickelt sich zur politischen Horrorgeschichte, an deren Ende eine finstere Vision steht.
Juri Andruchowytsch: Moscoviada. Suhrkamp, 223 Seiten, 23,50 Euro.
Bizarrer Höllentrip ins Herz der USA
Chuck Palahniuk hat wieder zugeschlagen. Der US-Kultautor spielt in seinem jüngsten Roman "Die Kolonie" mit der Isolation. 17 literarische Loser ziehen sich mit ihrem Mentor, dem ominösen Mr. Whittier, für drei Monate in frei gewählte Gruppenhaft zurück - dann nimmt das Geschehen seinen unerwarteten Lauf.
Eingesogene Gliedmaßen, Kannibalismus, grausame Morde und aufplatzende Körper: Palahniuk hält nach dem Trauma von 9/11 der Gesellschaft einen umbarmherzigen Spiegel vor. "Jeder Satz ein Schnitt ins Fleisch der USA", so ein Kritiker.
Chuck Palahniuk: Die Kolonie. Manhattan Verlag, 480 Seiten, 20,60 Euro.
Bretts irrwitziger Greisenroman
Erfolgsautorin Lily Brett präsentiert dem Leser in "Chuzpe" die Antithese zum passiven, leidenden, trauernden Alten: einen frisch verliebten 87-Jährigen, der voll Charme und Verve einen Neuanfang plant.
Nicht nur, dass der Pole mitten in New York ohne jegliche Erfahrung ein Knödellokal eröffnen will. Noch schockierter ist seine Tochter über Details aus Edeks Sexleben. Aber es wäre nicht Brett, wäre der humorvolle Roman nicht - auch - eine schwarze Komödie.
Lily Brett: Chuzpe. Suhrkamp, 334 Seiten, 20,40 Euro.
Der Siegeszug der Tölpel
Dümmliche britische Landadelige, ungestüme Liebhaber, überlegene Frauen und schelmenhafte Tölpel sind in Verwirrspiele und Verwechslungen verstrickt - und kein Auge bleibt dabei vom Lachen trocken: Dass der "britische Humor" heute als Markenzeichen einer ganzen Nation gilt, ist zu einem Gutteil das Verdienst des vor 125 Jahren geborenen P. G. Wodehouse.
Seine Romane sind Stimmungsaufheller, wobei Ironie und ein Höchstmaß an Wortwitz das Abgleiten in billigen Klamauk stets verhindern. Douglas Adams ("Per Anhalter durch die Galaxis"), Salman Rushdie und Terry Pratchett lieben seine Bücher. Nun werden Wodehouse' Romane auf Deutsch neu aufgelegt.
P. G. Wodehouse: Onkel Dynamit. Suhrkamp, 317 Seiten, 9,20 Euro.