Ende der 90er Jahre, rund um den Hollywood-Streifen "Sieben Jahre in Tibet", wurde diese Frage noch heftig diskutiert, doch als Harrer Anfang des Jahres 93-jährig in Kärnten starb, gab es kaum noch kritische Stimmen, die am Mythos der Berglegende zu rütteln wagten.
"Werte nie hinterfragt"
Einzig der Südtiroler Extrembergsteiger Reinhold Messner betonte in einem Interview einmal mehr, dass Harrer "bis zum Schluss einen Wertekatalog hatte, den ich nicht teile"; er habe nie hinterfragt, "welche Werte von den Nazis in den 30er Jahren hochgehalten wurden".
Im Wiener Czernin Verlag erscheint nun ein Buch, das wieder auf "die Gedächtnislücken des Heinrich Harrer" - so der Untertitel - hinweist.
Pitt-Film brachte Recherche ins Rollen
In "Zwischen Hitler und Himalaya" rollt der Salzburger ORF-Mitarbeiter Gerald Lehner - jener Journalist, der 1997 Harrers Mitgliedschaft in der NSDAP und der SS nachwies - die Nazi-Vergangenheit des Abenteurers noch einmal auf.
Der Brad-Pitt-Film "Sieben Jahre in Tibet" gab damals zwar den Ausschlag für seine nun zusammengefassten, akribischen Recherchen. Doch es geht längst nicht nur um den Filmplot, der sich an Harrers Nanga-Parbat-Expedition 1939 und ihren Folgen orientiert.
Über die "Mordwand" zum "Führer"
"Wir haben die Eiger-Nordwand durchklettert über den Gipfel hinaus bis zu unserem Führer": Das steht in einem 1938 erschienenen NS-Propagandabuch über die erstmalige Bezwingung des Schweizer Gipfels über die bis dahin "Mordwand" genannte Nordroute durch Harrer und drei Kameraden.
Dass Aussagen wie diese dem Bergsteiger von einem Ghostwriter der Nazis in den Mund gelegt wurden, ist laut "Zwischen Hitler und Himalaya" zwar durchaus plausibel - doch abgesehen davon zeichnet das Buch ein erschütterndes Bild Harrers nicht nur als willfähriges Propagandawerkzeug, sondern als überzeugter Anhänger der nationalsozialistischen Ideologie.
Nur "Angeberei"?
Dass er seit 1938 NSDAP- und SS-Mitglied war, ist belegt. Auf seinem SS-Mitgliedsantrag gab er zudem an, bereits seit 1933 Mitglied der SA - damals in Österreich eine verbotene Terrororganisation - zu sein. Das Datum habe er aus "Angeberei" erfunden, erklärte Harrer später, und in der SS sei er nie aktiv tätig gewesen.
Die "Deutsche Himalaja-Stiftung"
Dabei ist "Zwischen Hitler und Himalaya" vor allem auch dann besonders interessant, wenn sich Lehner nicht Harrer konkret, sondern den Hintergründen widmet und einen umfassenderen Blick darauf wirft, wie die Nazis Alpinismus und Expeditionen für ihre Zwecke nutzten.
Die 1936 gegründete "Deutsche Himalaja-Stiftung" war etwa ein wichtiges Propagandainstrument, das nicht nur für Schlagzeilen über spektakuläre Expeditionen, sondern auch für die Popularisierung sportlicher Ertüchtigung für den bevorstehenden Krieg zuständig war. Außerdem interessierte man sich für die angeblichen "germanischen Wurzeln" des Bergvolks der Hunzukuc im Himalaja.
Wie kam Harrer ins Nanga-Parbat-Team?
Wie Harrer ins Team der Stiftung kam, das 1939 zum Nanga-Parbat-Gebiet reiste, ist nicht geklärt. Lehner vermutet, dass sich der Bergsteiger Kontakten zu Himmler bediente. Harrer selbst stritt das zeitlebens ab.
In seiner Autobiografie "Mein Leben" schrieb er, die "steirische Landesregierung" habe 5.000 Reichsmark gezahlt, um seine Teilnahme zu forcieren - doch die existierte zu diesem Zeitpunkt nicht, es müsste sich vielmehr um die steirische NS-Gauleitung gehandelt haben.
Harrer sprach später stets von einer "deutsch-österreichischen Expedition", doch: "Das einzige Österreichische an dieser Expedition zum Nanga Parbat war, dass zwei Mitglieder der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) aus dem ehemaligen Österreich daran teilnahmen", heißt es in dem Buch.
Flucht nach Tibet
Die Expedition wurde vom Ausbruch des Zweiten Weltkriegs überrascht. Auf dem Rückweg vom Nanga Parbat im September 1939 wurde das Team in Karatschi von Briten verhaftet. Harrer kam in ein Internierungslager in Indien, von wo aus er 1944 nach Tibet flüchtete - Stoff für sein Buch "Sieben Jahre in Tibet", das später zum gleichnamigen Hollywood-Streifen mit Brad Pitt wurde.
In dem Lager soll Harrer übrigens in jenen Baracken untergebracht gewesen sein, die den fanatischen NS-Anhängern vorbehalten waren, heißt es in dem Buch unter Berufung auf Mitgefangene.
"Sport ist politisch"
"Harrer vertraute auf die Eigenschaft vieler Sportler, Alpinisten und Leser, Höchstleistungen nicht oder nur ungern in geschichtliche Zusammenhänge zu stellen", stellt Lehner - selbst begeisterter Alpinist - fest.
"In diesen Kreisen wird oft behauptet, Sport sei per se etwas Unpolitisches. Wie politisch er war, ist und immer sein wird, beweist gerade auch Harrers Umgang mit Sprachregelungen und seine unzureichende Erinnerungskultur."
Buchhinweis
Gerald Lehner: Zwischen Hitler und Himalaya. Die Gedächtnislücken des Heinrich Harrer. Czernin Verlag, 256 Seiten, 24,40 Euro.
Links:
- Czernin Verlag
- Harrer-Biografie (Wikipedia)