Der Bauherr darf nicht alles

Wird der Gerichtsstreit über den Berliner Hauptbahnhof zum Präzedenzfall?
Der Streit über die architektonische Umsetzung des Berliner Hauptbahnhofs hat eine überraschende Wende genommen, die weit reichende Folgen haben könnte.

Nach einem Urteil des Berliner Landgerichts muss der Bauherr, die Deutsche Bahn AG, eine eigenmächtig eingebaute Flachdecke im Untergeschoß ihres Prestigebaus zurückbauen und die ursprünglichen Pläne des Architekten Meinhard von Gerkan umsetzen. Das würde laut Bahn 40 Millionen Euro kosten und drei Jahre dauern. Sie will Berufung einlegen.

Spezialist für Großaufträge
Von Gerkan ist einer der profiliertesten Architekten Deutschlands, sein Architekturbüro gmp ist eines der größten der Welt. Vor allem mit seinen riesigen Bauprojekten in China - etwa der Retortenstadt Luchao - erregte er Aufsehen, und im Gegensatz zu manchen anderen Stararchitekten existieren seine Entwürfe nicht nur auf dem Papier, sondern werden tatsächlich umgesetzt.

Kein Gewölbe im Untergeschoß
©Bild: GMP
©Bild: GMP
Den Berliner Hauptbahnhof plante von Gerkan als spektakuläre Gewölbekonstruktion mit einem weit sichtbaren Glasdach. Das Gewölbe sollte sich im Untergeschoß des Bahnhofs fortsetzen, doch die Bahn setzte sich über den Entwurf hinweg und ließ von einem anderen Architekten eine gerade Decke einziehen.

©Bild: Deutsche Bahn
©Bild: Deutsche Bahn
Jeder Bahnhofsbesucher "bemerkt das abrupte Ende des beschwingten Zaubers, den die oberirdische Architektur dennoch ausstrahlt, sobald er die unterirdischen Bahnsteige betritt", ätzte die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" ("F.A.Z.") in ihrer Mittwoch-Ausgabe.

Bereits früher stellte sie fest, es handle sich um "die jammervollste aller Flachdeckenlösungen, Streifen aus grauem Glattblech".

Wie weit darf ein Bauherr gehen?
Im Kern aber geht es um mehr als um eine Decke in einem Bahnhof. Es geht um die Frage, ob und wie weit ein so mächtiger Bauherr wie die Bahn, die nicht nur mit Eigenmitteln, sondern auch mit öffentlichem Geld baut, die einmal genehmigte Planung ihres Architekten verändern darf - und mit welchen Argumenten.

"Ich kann mich an keinen vergleichbaren Fall erinnern, in dem die Urheberrechte eines Architekten und die Authentizität eines Werkes so herausgestellt wurden. Aber das mag auch daran liegen, dass Architekten üblicherweise nicht klagen", sagte Gerkan der "F.A.Z.". Auch für sein Büro sei die Klage das letzte Mittel gewesen; die Bahn habe alle Versuche, zu einem Kompromiss zu kommen, abgeschmettert.

Kein verletzter Stolz
Bahn-Chef Hartmut Mehdorn griff von Gerkan am Mittwoch scharf an - mehr dazu in "Bahn-Chef: 'Egotrip' des Architekten".

Als verletzten Stolz will der Architekt die Klage auf keinen Fall verstanden wissen. "Die Bahn soll nicht das bauen, was ich möchte, sondern das, was wir mit der Bahn in jahrelangen Planungsprozessen abgestimmt, beschlossen, bemustert und dokumentiert haben", sagte er der "Süddeutschen Zeitung".

Bahn: Doppelte Kosten
Die Anwälte der Bahn argumentierten vor Gericht mit den Kosten für von Gerkans Gewölbedecke. Sie wäre doppelt so teuer geraten, sagten die Bahn-Vertreter. Ein Bauwerk wie ein neuer Hauptbahnhof müsse jedoch mit "Preisverantwortung" errichtet werden.

Das Hauptargument der Bahn lautete aber, dass ein Bauherr am Entwurf des Architekten etwas ändern dürfe. Nur bei einer Entstellung lägen Grenzen. Eine Flachdecke aber sei keine Entstellung.

Gericht sieht Verfälschung
Genau diesen Punkt sah das Gericht völlig anders. Es handle sich um die tief greifende Verfälschung einer genehmigten Planung, sagte Richter Peter Scholz. Die schriftliche Begründung für das Urteil wird erst in einigen Tagen vorliegen.

Die Meinung des Gerichts wurde aber bereits während der Verhandlung deutlich. "Wir haben kein Problem damit, diesen Bahnhof als Kunstwerk anzusehen", sagte Scholz. Es sei kein reiner Zweckbau und auch kein Provinzbahnhof. Und auch eine Decke im Untergeschoß verleihe diesem Gebäude ein wesentliches optisches Gepräge.

Glasdach verkürzt
Dabei gibt es noch einen zweiten Disput in Sachen Hauptbahnhof: Die Bahn verkürzte auch das oberirdische Glasdach um über 100 Meter und veränderte damit gegen den Willen des Architekten die Proportionen des Prestigebaus.

In diesem Fall könne sein Büro aber nicht mehr klagen, so von Gerkan gegenüber der "Welt": "Diesen Rechtsanspruch haben wir verwirkt, weil wir an dieser Änderung mitgewirkt haben - in der Hoffnung, Schlimmeres zu verhindern." Dabei habe die Bahn nach seinen Informationen alle erforderlichen Bauteile bereits bezahlt und lagere sie nun in einem Depot.

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