Der Kirchenmann als Philosoph

Glaube und Vernunft: Rückblick auf die "Regensburger Rede" des Papstes.
Die Papst-Rede an der Universität Regensburg im September dieses Jahres hat hohe Wellen geschlagen. Den gesamten Text der Rede von Benedikt XVI. kannten viele, die gegen ihn protestierten, nicht.

Vorerst blieb die Aufregung aus
Einen Tag nach der Rede gab es noch keine große Aufregung. So war in deutschsprachigen Medien am Tag nach der Rede zu lesen: "Der Generalsekretär des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, sieht in den Worten des Papstes indes keinen Angriff auf Muslime. Er glaube nicht, so Mazyek, dass der Papst mit seiner Rede auf eine kriegerische Tradition des Islam abziele."

Zwei Tage später sah die Situation schon ganz anders aus - die Proteste hatten begonnen. In England bemühte gar die seriöse, wenn auch nicht gerade kirchennahe Presse wie der "Guardian" den Begriff von "God's Rottweiler".

Der Papst bedauerte, wie seine Rede aufgenommen bzw. verstanden wurde; Handlungsbedarf in inhaltlichen Fragen, also eine Rücknahme des umstrittenen Vergleichs, sah man im Vatikan nicht gegeben.

Vernunft und Glaube
Was war der Kern der Rede des Papstes und warum zog er das Beispiel des Dschihad heran? Benedikt verteidigte die Verbindung von Glaube und Vernunft.

Anders als Kant will er den Glauben nicht als Teil der praktischen Philosophie, also überspitzt gesagt einer Alltagsethik, verortet wissen. Glaube und Vernunft gehören für ihn eng zusammen.

"Gott hat keinen Gefallen am Blut"
"Gott hat keinen Gefallen am Blut - und nicht vernunftmäßig zu handeln (...), ist dem Wesen Gottes zuwider", zitiert Benedikt den byzantinischen Palaeologen-Kaiser Manuel II., der im Jahr 1391 mit "einem gebildeten Perser" über Christentum und Islam diskutierte.

Dieser Dialog wurde von einem Theologen der Universität Münster herausgegeben, und der Papst hatte den Text nach eigenen Angaben "kürzlich gelesen".

Einen Tag vor der Papst-Rede hatte man zudem des fünften Jahrestags der Anschläge von New York gedacht - möglich, dass sich der Papst deshalb ein Beispiel aus dem Islam herausnahm.

Glaube und Schwert - Selbstkritik blieb aus
Benedikt hätte natürlich in seiner eigenen Kirche einen reichen Fundus gehabt, um die These zu belegen, dass kriegerische Handlungen gerade im Namen des Glaubens gegen den Willen Gottes stehen.

Bernhard von Clairvaux rief in seiner berühmten Rede von Vezelay im Jahr 1146 zum Zweiten Kreuzzug auf. Das ritterliche Ideal der Kreuzzüge sah das Sterben für den himmlischen Herrn als besonderes Verdienst. "Ein Ritter Christi tötet mit gutem Gewissen; noch ruhiger stirbt er. Wenn er stirbt, nützt er sich selber; wenn er tötet, nützt er Christus", formulierte Bernhard.

Antagonist des Mystikers Bernhard von Clairvaux war der berühmte Pierre Abaelard. Abaelard war wesentlicher Wegbereiter der scholastischen Methode - eines Ansatzes, dem auch Benedikt durchaus verpflichtet scheint.

Abaelard als Beispiel?
In seinem "Dialogus inter Philosophum, Iudaeum et Christianum" lässt Abaelard einen heidnischen Philosophen, einen Juden und einen Christen miteinander über Fragen der Metaphysik und Theologie diskutieren. Abaelard geht von einem Kern der Vernunft aus, der allen mediterranen Völkern und monotheistischen Religionen, also neben dem Christentum auch dem Judentum und dem Islam, gemeinsam sei.

Jede der Religionen sei in der Lage, in ihrer Lehre die Wahrheit zu finden, da alle Wahrheit auf göttliche Weisheit zurückzuführen sei. Unter diesen Vorzeichen eröffnet Abaelard das Gespräch zwischen den Religionen und fordert zum Dialog auf - zugleich stand ihm aber die Bekehrung der anderen durch die christliche Wahrheit vor Augen.

"Im Anfang war das Wort"
Der Theologe Ratzinger ist von Abaelard nicht so ganz entfernt, auch wenn er sein Gedankengebäude eher auf einer kirchlich-moralisch verlässlicheren Größe wie Thomas von Aquin absichern würde. Zentral aber ist für den Papst die Verbindung von Vernunft und Glaube: "Im Anfang war das Wort" - diese biblische Auffassung ist für Ratzinger der Kern des Glaubens. Ein Christ soll in seinem Handeln nicht nur nichts unternehmen, was dem Glauben, sondern auch, was der Vernunft zuwiderläuft.

Im Islam sieht Ratzinger diesen Auftrag nicht erfüllt. Der muslimische Theologe Ibn Hazn, gehe so weit zu erklären (und dabei stützt sich der Papst, wie er selber sagt, auf die Forschung des bekannten Islamologen Roger Arnaldez), "dass Gott nicht durch sein eigenes Wort gehalten sei und dass nichts ihn dazu verpflichte, uns die Wahrheit zu offenbaren". Wenn Gott es wolle, so könne er im Islam den Menschen auch zu Götzendiensten verpflichten.

Übereinstimmungen mit dem Schöpfergeist
Der Papst erinnerte daran, dass es auch im Mittelalter im christlichen Bereich eine Blüte des Konzepts vom Willkürgott gegeben habe. Auch wenn der Unterschied zwischen dem Wesen Gottes und des Menschen unendlich groß sei, so gebe es doch in der Kirche eine Übereinstimmung zwischen dem Schöpfergeist und unserer Vernunft. Das ist für den Papst das Erbe der griechischen Philosophie im christlichen Glauben und zugleich die typisch europäische Wurzel des Christentums.

Womit der Papst einmal mehr auf eine Verankerung des Christentums in der EU-Verfassung anspielt: "Die Begegnung (zwischen Christentum und 'griechischem philosophischem Fragen', Anm.), zu der dann noch das Erbe Roms hinzutritt, hat Europa geschaffen und bleibt die Grundlage dessen, was man mit Recht Europa nennen kann", spannt der Papst den - auch historisch weiten - Bogen von der Kaisserreichsidee bis zur Europäischen Union.

Papst: Religion nicht ins Subjektive abschieben
Für den Papst ist die Vernunftfrage im Glaubensbereich zentral - sie ist es auch, die der Theologie einen bedeutenden Platz in der Universität zuweist. Die Religion darf für ihn nicht in den Bereich des Subjektiven, also als eine Art Lebenspraxis, abgeschoben werden. Glaube und Vernunft müssten zusammenfinden, sagt Benedikt und erinnert, dass man dabei nicht hinter den Geist der Aufklärung zurückfallen müsse: "Bei aller Freude über die neuen Möglichkeiten des Menschen sehen wir auch die Bedrohungen, die aus diesen Möglichkeiten aufsteigen", sagt der Papst.

Kulturwissenschaften a la Vatikan?
In Regensburg entwarf er das Bild einer Theologie, die ihren Platz auch in der neuen Kulturwissenschaftsmode an den Unis finden könnte. Die vom Papst geformte These, dass man nur über die Verbindung von Vernunft und Glaube "zum wirklichen Dialog zwischen den Kulturen und Religionen fähig" sei, hat sich vorerst noch nicht bestätigt. So wie in Abaelards berühmtem Dialog steht zu erwarten, dass die Kirche ihre Vormachtstellung in diesem Dialog lange noch nicht abgeben will.

Darf so ein Kirchenmann reden?
Die Reise des Papstes war voll von Sehnsüchten und Sentimentalitäten. In der Heimat erinnerte sich der Papst an die Vergangenheit - und in Regensburg an die schöne Zeit der universitären Lehre und der philosophischen Streitgespräche.

"Si tacuisses, philosophus mansisses" - wenn du geschwiegen hättest, wärst du Philosoph geblieben, lautet ein lateinisches Sprichwort, an das Andreas Zielcke wenige Tage nach der ersten Aufregung in der "Süddeutschen Zeitung" erinnerte: "Hier gilt umgekehrt: Als Philosoph durfte Benedikt in Regensburg so reden, doch als Kirchenmann hätte er besser geschwiegen."

Gerald Heidegger, ORF.at

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