Unter einem schlechten Stern
Der französisch-schweizerische Architekt arbeitete zwischen 1961 und 1965 im Städtchen Firminy bei Lyon an seiner Vision einer grünen Stadt.
Am enthusiastischsten verfolgte er die Pläne für die Kirche Saint-Pierre - doch das Bauvorhaben stand von Anfang an unter einem schlechten Stern. Ein Rohbau entstand erst nach seinem Tod, und Finanzierungsprobleme führten dazu, dass der halb fertige Bau zwei Jahrzehnte brach lag.
Karg und erhaben
Das fertige Gebäude ist jetzt ein beeindruckendes Zeugnis von Le Corbusiers Kunst. Eine Art ansteigende Brücke führt in den Kirchenraum, der - sozusagen als Symbol für überirdische Erhabenheit - über einem zweistöckigen, verglasten Unterbau errichtet wurde.
Im Inneren richtet sich der Blick erst auf den Altar, einen kargen, weißen Betonblock, und dann auf ein Sternbild-förmiges Muster an Öffnungen, die den eigentlich fensterlosen Raum mit verschiedenfarbigem Licht durchfluten.
Regenrinne spendet Licht
Le Corbusier legte die Kirche so an, dass sie zu jeder Tageszeit von solchen "Lichtkanonen" natürlich beleuchtet wird. Eine Art Regenrinne, die um den Raum herumführt, sorgt ebenfalls für - zuweilen vom Abflusswasser gebrochenes - Licht.
Dabei war Le Corbusier überzeugter Atheist. "Was den Glauben angeht, so sagte er: 'Ich verstehe die Wunder des Glaubens nicht, aber ich kenne jene des unsagbaren Raumes'", erklärte Yvan Mettaud, Konservator der Corbusier-Bauten in Firminy, im ZDF-"Morgenmagazin".
Größtes Gebäudeensemble in Europa
Der 20.000-Einwohner-Ort war für den französisch-schweizerischen Architekten eine Art Modellstadt. Er errichtete hier sein größtes aufeinander abgestimmtes Ensemble in Europa.
Es besteht aus einem Kulturhaus, einem Stadion und einer "Unite d'Habitation", einer von fünf "Wohnmaschinen", die Le Corbusier zwischen 1947 und 1965 in Frankreich und Deutschland baute.
Sie sollten für ein neues Wohnen im Grünen, ein Wohnen in Stille und Frieden für die Arbeiterklasse stehen. Nicht umsonst wird dieser Stadtteil Firminy-Vert genannt, das grüne Firminy also, im Gegensatz zum von Schwerindustrie geprägten Rest der Stadt, Firminy-Noir.
Erste Skizzen entstanden 1929
Dass Saint-Pierre jetzt tatsächlich realisiert wurde, grenzt an ein Wunder. Für Le Corbusier war die Kirche ein integraler Bestandteil seiner Arbeit in Firminy. Die Pläne dafür hatte er schon im Kopf: Sie waren die Weiterentwicklung von Skizzen für ein Pariser Gotteshaus, die er 1929 schuf, aber nie umsetzte.
1960 und 1961 fertigte er erste Zeichnungen an. Doch der von alten Bergwerken belastete Standort erschwerte und verteuerte eine Umsetzung. Erst nach Le Corbusiers Tod - er ertrank 1965 im Mittelmeer - trieben seine Mitarbeiter, vor allem Jose Oubrerie, das Projekt voran.
Pfarrer muss Miete zahlen
1973 erfolgte der Spatenstich, fünf Jahre später der Baustopp, obwohl der Rohbau schon zu zwei Dritteln fertig war. Erst 2003 sprang der Staat finanziell ein, und es wurde weitergebaut.
Doch weil in Frankreich Kirche und Staat streng getrennt sind, muss der Pfarrer nun Miete zahlen, wenn er in Saint-Pierre eine Messe lesen will. Ausgehandelt ist ein entsprechender Vertrag aber noch nicht - und ohnehin wird die Kirche wohl eher zur Pilgerstätte für Kunsthistoriker und Architekturfans.
Museum statt Gemeindezentrums
Der quadratische Unterbau, ursprünglich als Gemeindezentrum und als Pfarrwohnung gedacht, soll zukünftig ein Museum für Le Corbusier und Zeitgenossen beherbergen. Diese Filiale des Museums für moderne Kunst in Saint Etienne soll im Frühjahr eröffnet werden.
Diese Zweckänderung stellt allerdings auch ein Problem dar. Kritiker sehen Le Corbusiers Erbe in Gefahr; zudem hat Oubrerie, der die Pläne fertig stellte, der Kirche seinen eigenen Stempel aufgedrückt, indem er zwei Balkone und, um aktuellen Bauauflagen zu entsprechen, etwa eine Klimaanlage und einen Aufzug hinzufügte.
Bald Weltkulturerbe?
Ein Gutachten gesteht dem Projekt aber größtmögliche Authentizität zu, und womöglich wird Saint-Pierre demnächst sogar gemeinsam mit rund 20 anderen Le-Corbusier-Bauten in Europa ins UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen.
Schon jetzt rechnet Konservator Mettaud damit, dass die um 7,6 Millionen Euro fertig gestellte Kirche 100.000 Besucher jährlich anlockt.
Links:
- Le Corbusier in Firminy
- Le-Corbusier-Biografie (Wikipedia)