Riesige Sammlung
In Frankreich hat jetzt einer der letzten Totenmaskenbildner seine Werkstatt geöffnet, um Werbung für die aussterbende Branche zu machen. In seinem Atelier im südlichen Pariser Stadtteil Montparnasse enthüllt Jean-Pierre Maury eine schier unglaubliche Sammlung von Gipsabgüssen.
Popstars der 60er Jahre, Schauspieler und Musiker, sie alle sind an den Wänden seines Ateliers, einer Mischung aus Bärenhöhle und Alchimisten-Labor, aufgereiht. Doch heute tut sich der 74-Jährige schwer, Interessierte zu finden, denen er sein Wissen weitergeben kann.
Ausbildung in Graz
Auch in Österreich ist das Interesse an Totenmasken klein: "Die Nachfrage ist ausgesprochen gering", erklärte Eduard Schreiner, Obmann des Fachverbandes Bestattung der Wirtschaftskammer Österreich, gegenüber ORF.at.
"Einige wenige Bestatter haben eine Ausbildung in Deutschland gemacht", so Schreiner, und in Graz laufe für ausgebildete Bestatter derzeit ein Kurs für Thanatopraxie, die Präparierung von Leichen, in dem es auch um Totenmasken gehe.
"Wahrer Charakter"
Einst waren Totenmasken weit verbreitet. Im Mittelalter wurden Kaiser und Könige abgebildet, während der Französischen Revolution sogar die Gesichter von Geköpften - weil "der Tod den wahren Charakter der Verräter und Tyrannen preisgibt".
Später wurden große Männer, Dichter, Politiker und Musiker nach ihrem Ableben als Masken unsterblich gemacht: Goethe, Schiller, Wagner, Puccini, Dickens und Tolstoi, sie alle wurden auf ihrem Totenbett abgebildet.
Letzter Freundschaftsdienst
Ab den 50ern und 60ern des letzten Jahrhunderts seien die Masken ein wenig in Vergessenheit geraten, erklärte der Kunsthistoriker und Ausstellungskurator Hannes Etzlstorfer gegenüber ORF.at: "Die Totenmaske von Karajan war eines der letzten bekannten Beispiele."
Besonders unter Künstlern war es üblich, Abgüsse von verblichenen Kollegen anzufertigen - "als spezieller letzter Freundschaftsdienst", so Etzlstorfer.
Letztes Bild fasziniert
"Das letzte Bild war etwas, was die Menschen schon immer sehr fasziniert hat", und vor der Etablierung der Fotografie hätten Totenmasken die authentischsten dieser Bilder ermöglicht, erklärt der Kunsthistoriker.
Eine der größten Totenmasken-Sammlungen in Österreich hat das Wien Museum, das unter anderem Abgüsse von Johann Strauß, Alban Berg und Gustav Mahler besitzt. In der Ausstellung "Schau mich an - Wiener Porträts" in der Hermesvilla sind einige davon derzeit zu sehen.
Fehlender Bart
Maske ist nicht gleich Maske: Der Abguss muss mit dem richtigen Material und Werkzeug sowie dem nötigen künstlerischen Können hergestellt werden.
Berühmte Beispiele guter und schlechter Arbeit sind die Masken des französischen Dichters Paul Verlaine und des österreichischen Komponisten Gustav Mahler: Beim Ersten fehlen ein Stück Bart und Augenbraue, Zweiter dagegen wirkte so lebensecht, dass der Liebhaber von Mahlers Witwe die Gegenwart der Maske nicht ertragen haben soll.
Das letzte Lächeln
Die Totenmasken können und sollen die Porträtierten nicht so darstellen, als wären sie noch am Leben; eher sind sie ein sichtbares Symbol des Vermissens, eine Momentaufnahme des Todesaugenblicks.
Weil die Abgüsse von liegenden Leichen genommen werden, zieht die Haut nach unten, und die Gesichter wirken straffer, als ob die Porträtierten lächelten. Abgüsse von lebenden Personen wirken dagegen oft angespannt - die Prozedur kann bis zu fünf Stunden dauern.
Vom Kabarettisten zum Totenmaskenbildner
Maury, Meister seines Fachs, hat schon zu deren Lebzeiten französische Stars wie Johnny Hallyday, Sylvie Vartan und Yves Montand modelliert. Das war in den 50ern und 60ern, als sich der Künstler als Chef eines Kabaretts verdingte.
Er selbst trat auch als Komiker auf, bis er zum ersten Mal zu einem Toten gerufen wurde: Der Saxofonspieler Sydney Bechet starb im Mai 1959. Maury goss seine erste Totenmaske - gleichzeitig die einzige, die er heute noch zeigen kann, da alle anderen in Privatbesitz der Familien sind.
Gefragtes Know-how
Maury ist in Frankreich nicht nur der Letzte seiner Art, er ist auch ein Meister seines Fachs. Und so bekam er häufig Spezialaufträge: zum Beispiel von der Schönheitschirurgie, für die er "Vorher-nachher"-Modelle anfertigte, mit denen die Kunden vom zu erwartenden Erfolg einer Operation überzeugt werden sollten. Überdies dienten sie dem Chirurgen als Modell bei der Operation.
Seine Kenntnisse der menschlichen Physiognomie vermittelt der gelernte Bildhauer auch an Einbalsamierer - Menschen, die Verstorbene versorgen und Gesichter von Unfallopfern reparieren, "um sie wieder vorzeigbar zu machen".
"Leichen" für "Der längste Tag"
Morbider Höhepunkt von Maurys Karriere war vielleicht seine Mitarbeit am Hollywood-Monumentalfilm "Der längste Tag", der die Landung der alliierten Truppen im vom Hitler-Deutschland besetzten Frankreich schildert.
Neun Monate lang präparierte der Künstler insgesamt 450 Menschen als Leichen, mit denen die opferreiche Landung in der Normandie illustriert wurde.
Gesichter aus vier Jahrzehnten
Doch sein schönstes Werk ist weder glamourös noch morbid: Maury hat mehr als 40 Jahre lang die Gesichter seiner Töchter Pauline und Julie abgegossen, und zwar jedes Jahr zum gleichen Datum.
Die Sammlung dieser Masken wird mittlerweile von französischen Forschern zum Studium des Gesichtswachstums genutzt. Das Publikum kann sie Anfang 2007 im Pariser Musee de l'Homme bewundern.
Links:
- Fachverband Bestattung (Wirtschaftskammer)
- Wien Museum