Schon zu Lebzeiten eine Legende

Visconti prägte das europäische Kino.
Er war ein Aristokrat der Filmkunst, einer der ganz Großen des Kinos: Am 2. November vor 100 Jahren wurde Luchino Visconti in Mailand geboren. Er habe eine Schwäche für "einsame Seelen und von der Wirklichkeit erschlagene Schicksale", sagte Visconti Anfang der 70er Jahre.

"Ich ziehe es vor, die Geschichte von Niederlagen zu erzählen." Gerade hatte er den "Tod in Venedig" nach Thomas Mann gedreht, einer seiner intimsten Filme überhaupt. Es war seine letzte Schaffensperiode, längst war er zur Legende geworden.

Ein Leben ohne Geldsorgen
Geboren als Spross einer der ältesten und bekanntesten Familien des italienischen Hochadels, hatte es das Schicksal mit ihm selbst gut gemeint: Er kannte zeitlebens weder Not noch Geldsorgen. Die Familie besaß ein Palais in Mailand, ein Schloss in Piacenza, eine Villa am Comer See - und natürlich gehörte in einer solchen Familie enger Kontakt mit den schönen Künsten dazu.

"Ich bin mit dem Bühnengeruch in der Nase auf die Welt gekommen", berichtete er - kein Zufall also, dass Visconti später Theaterstücke und Opern inszenierte, in London, an der Wiener Staatsoper und an der Mailänder Scala, sogar "La Traviata" für Maria Callas.

Große Namen
Auch für seinen vielleicht bekanntesten Film erwies sich seine aristokratische Herkunft als Vorteil: 1963 drehte er "Der Leopard", die Verfilmung des Romans von Giuseppe Tomasi di Lampedusa, einen opulenten Kostümfilm und ein melancholisches Gesellschafts- und Liebesdrama mit Burt Lancaster, Claudia Cardinale und dem jungen Alain Delon, der mit dem Streifen seinen Durchbruch schaffte.

Die italienische Geschichte schlechthin
Visconti, so schrieben Kritiker damals, wusste genau, worüber er dreht: Die Geschichte über den Niedergang einer sizilianischen Adelsfamilie war ihm sozusagen auf den Leib geschrieben.

Noch heute gelten Roman und Film als die italienische Geschichte schlechthin, noch bekannter ist der tausendfach zitierte Schlüsselsatz: "Alles muss sich ändern, damit alles bleibt, wie es ist."

Schlüsselerlebnisse in Paris
Erste Kontakte mit dem Film knüpfte Visconti in den 30er Jahren, er lebte damals in Paris und wurde Assistent von Jean Renoir. "Damals gingen mir wirklich die Augen auf. Ich kam aus einem faschistischen Land, wo man einfach nichts erfahren, nichts lesen, nichts wissen noch persönliche Erfahrungen haben konnte", erzählte rückblickend Visconti, der die Jahre zuvor der Pferdezucht gewidmet hatte.

Unter anderem lernte der junge Mann in Paris etwas ganz Wichtiges für sein Leben: den freien und selbstbewussten Umgang mit seiner Homosexualität, zu der er sich genauso bekannte wie zum Marxismus.

Dorfbewohner als Darsteller
1947 drehte er "Die Erde bebt", ein Drama über eine sizilianische Fischerfamilie, in dem sich die Einwohner eines kleinen Fischerdorfes selbst spielen. "Ich habe Stunden damit verbracht, meine Fischer einen kleinen Satz einstudieren zu lassen. Ich wollte, dass sie es genauso gut können wie echte Schauspieler."

Es war die Zeit des italienischen Neo-Realismus. Höhepunkt der Schaffensperiode war "Rocco und seine Brüder" (1960) über eine süditalienische Familie, die auf Arbeitssuche nach Turin kommt.

Immer wieder Helmut Berger
Berühmt wurde auch das nach einem Dostojewskij-Text gedrehte "Weiße Nächte" (1957) mit seinem späteren Lebensgefährten Helmut Berger, der weite Teile seiner Autobiografie "Ich" Visconti widmete, "Boccaccio '70" (1961) mit Romy Schneider und "Die Verdammten" (1969) - wieder über den Verfall einer Familie, diesmal über eine deutsche Industriellenfamilie, die sich durch Zusammenarbeit mit den Nazis sanieren will.

Visconti war es auch, der den jungen Architekturstudenten Marcello Mastroianni auf einer Universitätsbühne entdeckte und zum Film brachte.

Zerrissener Märchenkönig
Verfall, Niedergang und Dekadenz sind auch die Stichworte eines weiteren großen Streifens Viscontis, "Ludwig II." (1972) über den entrückten bayerischen "Märchenkönig".

Wieder spielte Helmut Berger die Hauptrolle, der König ist psychisch zerrissen und labil, die Atmosphäre der bayrischen Winterlandschaft erdrückend wie im "Tod in Venedig" - es sind "einsame Seelen", zu denen sich der Filmaristokrat Visconti hingezogen fühlte. Schon damals war Visconti von Krankheit gezeichnet, am 17. März 1976 starb er.

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