Bei ihr darf herzhaft gelacht werden, ist das Altern der Alten nur ein Problem der Jüngeren. Die Hauptfigur ist ein Greis voller Tatendrang, der frisch verliebt ist und die "Chuzpe" hat, noch einmal von vorn anzufangen. Genervt ist seine Tochter.
Kein Roth, kein Walser
Das hat mit der schwergewichtigen Nachdenklichkeit anderer Neuerscheinungen wenig gemein. Zu nennen wären Philip Roths drängender, wuchtvoller Roman "Jedermann" (Hanser), der von Krankheit und Tod handelt, sowie Martin Walsers "Angstblüte", wo das Selbstbetrugsgebäude eines Mannes tosend unter der Last des Alterns zusammenbricht.
Lily Brett wählt einen gänzlich anderen, leichtfüßigeren Zugang. Sie erzählt eine rasante und manchmal schwarze Komödie, ohne dabei Menschen über 80 zu Witzfiguren verkommen zu lassen.
Das Chaos hält Einzug
Die sympathisch-neurotische Hauptfigur von "Chuzpe" ist Ruth Rothwax. Sie ist glücklich verheiratet, die Kinder sind aus dem Haus und ihre Firma für Schreibarbeiten aller Art läuft hervorragend.
Trotz all ihrer Marotten verläuft Ruths Leben in friedlichen Bahnen, bis ihr 87-jähriger Vater von Australien zu ihr nach New York zieht. Voller Tatendrang macht sich Edek daran, das ohnehin perfekt organisierte Leben seiner Tochter auf Vordermann zu bringen und richtet dabei mit viel Charme viel Chaos an.
Ruth versucht, dem hyperaktiven Edek Altherren-Beschäftigungen wie Schwimmunterricht oder einen Lesezirkel schmackhaft zu machen. "Alles Schmonzes", ist dessen Reaktion.
Quer durch die Brett-Romane
Plötzlich stehen die beiden älteren Damen Zofia und Walentyna aus Polen freudig erregt vor der Tür. Wie Ruth und Edek sind sie treuen Lily-Brett-Lesern bereits bekannt.
In ihrem Roman "Zu viele Männer" (2001) hat die Autorin eine Reise von Ruth und Edek in deren Heimatland Polen beschrieben. Dort lernten sie die zwei Frauen kennen, die beide ein Auge auf den flotten Wittwer Edek geworfen hatten. Die 69-jährige Zofia machte das Rennen und ist Edek nun - mit Walentyna im Schlepptau - nach New York gefolgt.
Zukunft zu dritt
Ruth ist nicht allzu erfreut über den Besuch. In ihr erwachen die Beschützerinstinkte; sie traut der energiegeladenen Zofia nicht, die Edek mit blonder Stachelfrisur und beeindruckender Oberweite bezirzt hat.
Doch das Dreiergespann lässt sich nicht beirren. Zofia und Walentyna ziehen bei Edek ein, und schon bald verfallen die drei auf eine wahnwitzige Idee: Ohne jegliche Erfahrung und mit lachhaftem Budget wollen sie - ausgerechnet in New York - ein Restaurant eröffnen.
"Klopse, nicht von dieser Welt"
Zofia, so stellt sich heraus, ist eine hervorragende Köchin, vor allem ihre Fleischknödel, Klopse genannt, sind "nicht von dieser Welt", wie Edek sagt. Und: "Ein Restaurant verkauft Essen. Und wir haben sehr gutes Essen. Und Leute müssen essen", fasst er die Grundlagen des erhofften Geschäftserfolges zusammen.
Misserfolg programmiert?
Tochter Ruth hält von diesen Plänen genauso wenig wie vom Beziehungsleben ihres Vaters. Der scheint sich noch einmal so richtig verliebt zu haben.
Sein Sexualleben jedenfalls funktioniert noch prächtig, was Ruth nicht wenig irritiert. Der Sex mit ihrem Vater sei "sehr gut", versichert ihr zumindest Zofia. Eine Information, auf die Ruth lieber verzichtet hätte.
Trotzdem lässt sie sich überreden, dass Unternehmen zu finanzieren. Und so schreitet das Klops-Trio enthusiastisch zur Tat und beginnt mit der Planung für die Eröffnung von "Klops braucht der Mensch" - so der Name des Restaurants auf New Yorks Upper East Side; ungleich witziger - aber unübersetzbar - der englische Name (und gleichzeitige Buchtitel): "You Gotta Have Balls".
Ein Kind von Überlebenden
Das alles ist tatsächlich so "schräg" und "herzerfrischend lustig" geschrieben, wie es der Klappentext verspricht. Aber es wäre kein Buch von Lily Brett, gäbe es keine Brüche in dieser New Yorker Komödie. Denn Edek Rothwax wurde in Polen geboren - und er ist Jude.
Gemeinsam mit Ruths verstorbener Mutter Rooshka hat er das Getto von Lodz und das Vernichtungslager Auschwitz überlebt. Alle anderen Familienangehörigen kamen dort ums Leben. Ruth kam in einem Übergangslager in Deutschland zur Welt, bevor ihre Eltern nach Australien emigrierten.
Die Schrecken des Holocaust klingen im Roman immer wieder an - und die Geschichte ihrer Eltern hat auch die Tochter geprägt: die jahrzehntelange Analyse Ruths, ihre Vielzahl an Neurosen und ihr unerschütterlicher Hang zum Pessimismus.
"Trotzdem" als Statement
Und doch kommt "Chuzpe" heiterer daher als Lily Bretts frühere Romane. Das Buch hat viele berührende Momente und ist zugleich immer wieder unglaublich komisch - und das, obwohl die Vorgeschichte von Ruth und Edek (Konzentrations- und Übergangslager) in etwa der Vergangenheit Bretts und ihrer Familie entspricht.
Eines der Wunder am Überleben ihrer Eltern sei es gewesen, dass sie nach all den schrecklichen Erfahrungen immer noch lachen konnten, sagt die Autorin dazu. Sie habe mit "Chuzpe" ein fröhliches, lebensbejahendes Buch schreiben wollen. Das ist ihr gelungen.
Buchhinweis Lily Brett: Chuzpe, Suhrkamp, 334 Seiten, 20,40 Euro
Lesung 29. Oktober um 11.00 Uhr im Theater in der Josefstadt, Josefstädter Str. 26 (Lesung des deutschen Textes: Herbert Föttinger)
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