"Die Sprache ist ein Werkstück"

Elfriede Jelinek im Interview mit Franz Manola.
Elfriede Jelinek steht wieder einmal im Mittelpunkt von Diskussionen. Am Hamburger Thalia Theater wird in einer Woche ihr Drama "Ulrike Maria Stuart" aufgeführt, das die Schicksale der führenden Frauen der Roten Armee Fraktion, Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin, mit dem der schottischen Königin Maria Stuart im 16. Jahrhundert verbindet. Es geht um weibliche Macht und die Frage, wie Macht zur Durchsetzung kommt.

Gut eine Woche vor der Aufführung des Stückes sieht sich Jelinek mit Artikeln und Würdigungen zu ihrem 60. Geburtstag konfrontiert. Ein Umstand, dem sie mit Befremden begegnet. "Es kommt mir sehr seltsam vor, als ob es sich um einen ganz andren Menschen handeln würde", so Jelinek gegenüber ORF.at.

Am Vorabend ihres 60. Geburtstages am Freitag hat sie sich auf eine Serie von Fragen von ORF.at eingelassen, in denen sie einen weiten Bogen spannt: von ihrem Verhältnis zur Moderne, Marshall McLuhan, der Schundliteratur, ihrem Umgang mit Medien, ihrer Sicht auf Österreich - und, wenig, zur Politik seit der Nationalratswahl.

"Glücksgefühl zu schreiben"
"Ich werde möglicherweise nur noch auf meiner Homepage veröffentlichen. Vielleicht als Nächstes eine Gespenstergeschichte in Fortsetzungen", schreibt Jelinek über ihr Verhältnis zum Web. Als eine der wenigen Schriftstellerinnen unterhält sie eine stets aktuelle Homepage. "Es ist ein großes Glücksgefühl, schreiben zu können, ohne dass jeder Hand an einen legen kann", so Jelinek.

Die textbesessene Jelinek war eine der ersten Autorinnen, die sich zur Verwendung des Computers bekannte. Dass gerade auch ihre männlichen Autorenkollegen technophob seien, glaubt sie nicht mehr. Für Jelinek ist die Tastatur die notwendige Klaviatur ihres unaufhaltsamen Schreibens.

Verstümmelte Formen des Schreibens
Jelinek glaubt nicht, dass uns die elektronischen Medien einer neuen Mündlichkeit zutreiben. Im Gegenteil. Sie sieht allerorten neue Formen von Vertextung. Auch SMS sind für sie "verstümmelte Formen" von Schreiben: "Die Sprache ist eben ein Werkstück, und jeder kann auf sie draufhauen." Ihre Texte versteht Jelinek auch als Reaktion auf das Fernsehen als bestimmendes Medium ihrer Zeit.

Zu den großen Klassikern der Moderne hat sie ein gespanntes Verhältnis, wie sie sagt. Den Schundroman zieht sie etwa Joyce vor.

Können Sie Ihre erstmalige Lektüre von Joyce datieren bzw. Ihre Reaktion darauf beschreiben? Diese Frage drängt sich uns auf, weil Joyce einerseits bei Ihrer lebenslangen Vertiefung in englischsprachige Literatur samt Übersetzungsarbeiten ein Meilenstein ihrer Lese-Biografie gewesen sein muss; und andererseits, weil er durch seinen Befund, wie wir verschriftlichte Menschen unter dem Druck unserer elektrifizierten Medienwelt in eine neue Mündlichkeit steuern, den "Materialcharakter" der Sprache wie vor ihm kein Zweiter bearbeitet hat.

Ich habe nicht viel Joyce gelesen. "Ulysses" noch vor der Wollschläger-Übersetzung, glaube ich. In den siebziger Jahren wahrscheinlich. Ich lese nicht gern AutorInnen, die einen starken eigenwilligen Sprachrhythmus haben, denn ich fürchte immer, in ihren Sog zu geraten und mitgerissen zu werden und dann in ein andres Fahrwasser zu geraten. Daher lese ich sehr viel Schund (Krimis). Ich sehe nicht, dass uns die elektronischen Medien in eine neue Mündlichkeit steuern, im Gegenteil, ich sehe eine neue Form der Verschriftlichung, SMS, Blogs, Chats etc., die auch neue literarische Möglichkeiten eröffnet. Die Sprache ist eben ein Werkstück, und jeder kann auf sie draufhauen.

Joyce "reagierte" auf die großen neuen Medien seiner Zeit: Radio, Telefon und Kino. Würden Sie dem Satz zustimmen: Jelinek "reagiert" quer durch ihr Werk auf das Fernsehen als bestimmendes Medium ihrer Zeit?

Ja, das kann ich voll und ganz unterschreiben. Mich hat immer die Fragmentierung der Wirklichkeit durch die Medien beschäftigt und die Wiedergewinnung von Wirklichkeit aus dieser Zweiten Natur, die ja die Erste vollständig überlagert hat. Eine "Erstlingshaltung", wie sie z. B. Handke den Dingen gegenüber einnimmt, ist mir nicht möglich, weil ich den Schutt der Überlagerungen eben immer gleich mitschreiben muss. Ich glaube, es gibt keine Arbeit von mir, in der nicht das Fernsehen vorkommt.

Was tut das Fernsehen mit Jelinek bzw. mit uns?

Was es will.

Hat das Fernsehen in den 70er und 80er Jahren etwas anderes mit uns getan als in den 90ern bzw. in der Gegenwart?

Meine biografische Beziehung zum Fernsehen ist sehr speziell. Ich bin ja ohne Fernsehen aufgewachsen, erst mit 20 Jahren habe ich meinen ersten Fernsehapparat gehabt, ich bin sozusagen wirklich noch mit Büchern aufgewachsen. Zum ersten Mal in diesem Alter fernzusehen hat natürlich eine ganz andre Art des Sehens getriggert. Statt auf dem Bildschirm die Wirklichkeit zu sehen, sehe ich in der Wirklichkeit überall den Bildschirm. Ich habe auch analytischer ferngesehen als andre, die das immer schon ganz selbstverständlich getan haben. Und z. B. "Michael - ein Jugendbuch für die Infantilgesellschaft" ist ja ein Buch übers Fernsehen. Diese Serien waren mir eben nicht selbstverständlich, sondern etwas Neues, und so habe ich auch als Erwachsene noch Serien wie "Lassie", "Daktari" oder "Flipper" gesehen.

Bernhard und Jelinek erzeugen, bei allem, was sie trennt, ihre "Spannung", indem sie ihre Schriftsprache auffällig musikalisch organisieren. Verdankt sich diese Sprachmusikalität einer zufälligen biografischen Neigung bzw. Ausbildung oder liegt dem ein sozusagen verallgemeinerbares österreichisches Reaktionsmuster auf die Akustifizierung unserer Welt durch Elektronisches zu Grunde?

Bei mir ist diese musikalische Organisierung des sprachlichen Materials sicher eine Folge meiner musikalischen Ausbildung. Bernhard, der keine systematische musikalische Ausbildung hatte, aber eine wunderbare Naturstimme, mit der er gern gesungen hat, hat mit rhythmischen Tiraden gearbeitet, es war bei ihm eine gesprochene, atemlose Sprache. Ich arbeite mehr mit der Lautlichkeit, der Klanglichkeit des einzelnen Wortes, das ich abwandle, verändere, durch Metathese und ähnliche Verfahren, bis zum billigsten Kalauer, den ich ganz besonders schätze. Das Pathos hat nur Platz neben der absoluten Trivialität, und das Pathos könnte ich, wenn ich es einmal brauche, ohne die äußerste Trivialität nicht riskieren. Als Organistin kenne ich natürlich das Prinzip des Bachschen Präludiums oder der Fantasien. Im Gegensatz zur Strenge der Fuge, kann man hier mit Agogik, den beabsichtigten Schwankungen im Tempo, arbeiten, man muss es sogar, um Ausdruck zu erzielen. Was man in der einen Richtung gewinnt, muss man an die andre wieder hergeben, was die innere Bewegung eines Textes betrifft, sonst stürzt alles ein.

Sehen Sie unsere Lebenswelt von literal geprägten Denk- und Organisationsweisen abdriften in eine neue Mündlichkeit, die gewisse irrationale Tendenzen samt anti-modernen, Errungenschaften der Aufklärung verleugnenden Indizien erklären würde, als jenes Feld, auf dem Dichter und Autoren ihren großen Widerstand leisten, indem sie auf Schriftlichkeit beharren?

Wie schon gesagt, ich glaube nicht an diese neue Oralität, obwohl natürlich ständig gesprochen wird, schon von Kindern in ihre Handys. Ich glaube an eine neue Verschriftlichung, die sich aber dem entropischen Stillstand annähert. Es wird damit enden, dass alle dasselbe zur gleichen Zeit schreiben, nachdem schon alles gesagt sein wird. Ich jedenfalls bin süchtig nach Schrift, auch nach Zeitungen und Zeitschriften. Es muss einfach immer etwas Bedrucktes vor meinen Augen sein.

Von Literaten abgesehen, wir als Kollektiv driften nicht weg vom Schriftlichen?

Aber SMS ist doch Schreiben! Es ist ein verkürztes, verstümmeltes Schreiben, aber es ist Schreiben, eine neue Art Kurzschrift. Ich bin übrigens der einzige Mensch, den ich kenne, der es noch nicht kann, aber ich werde es in diesen Tagen lernen. Ich glaube eher, dass diese barocke Sprache, die sich ausbreitet und mit sich selbst spielt, aufhören wird. Natürlich verarmt die Sprache. Noch mein Vater hat ein sehr reiches Wienerisch gesprochen, das verschwindet. Ich selbst kann wahrscheinlich mit jungen Leuten kaum noch kommunizieren, weil sie viele Worte, die ich noch gelernt habe, Redewendungen etc. nicht mehr verstehen. Aber all die Techniken, das Internet zu benutzen sind ja Schrift-Techniken! Allerdings ist die neue Rechtschreibung eine Katastrophe. Sie wurde jetzt modifiziert und ihrer schlimmsten Auswüchse entkleidet, aber keiner scheint sich drum zu kümmern oder daran zu halten.

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