"Mehr wert als die gesamte Renaissance"

Aus dem Schatten Picassos zurück nach Indien: Das faszinierende Werk von Amrita Sher-Gil erstmals in Europa.
"Europa gehört Picasso, Matisse, Braque und vielen anderen. Indien gehört mir allein." Die indische Malerin Amrita Sher-Gil ist auch noch 65 Jahre nach ihrem Tod die tonangebende Frau, was moderne indische Malerei anlangt.

Erst im Frühjahr wurde ein Bild jener Frau, die man gerne Indiens Frida Kahlo nennt, für den Rekordpreis von 1,26 Millionen Euro versteigert. Die Auktion fand in Indiens bedeutendstem Auktionshaus Osian's statt.

Nun widmet das Münchner Haus der Kunst der Malerin eine große Werkschau, die erste auf europäischem Boden.

Von Budapest nach Indien
Amrita Sher-Gil hatte ein kurzes, dafür aber umso bewegteres Leben. Geboren wurde sie am 30. Jänner 1913 in Budapest. Ihr Vater, Umaro Singh Sher-Gil, war ein Sikh-stämmiger Aristokrat; ihre Mutter, Marie Antoinette Gottesmann, eine ungarische Jüdin.

Betriebsunfall: Würdigung durch die Nazi-Presse
Umso vewunderlicher scheint es heute, dass man die bildnerischen Arbeiten der Frau im April 1939 ausgerechnet in einem Blatt wie der "Münchner Illustrierten Presse" in einem einseitigen Porträt würdigte. "Die erste Frau des Fernen Ostens als Mitglied des Grand Salons" wurde da gefeiert - rundherum gab es Berichte über Nazi-Aufmärsche.

Zur damaligen Zeit galten Maler, die in einem ähnlichen Stil wie Sher-Gil gearbeitet hatten, als "entartet", und auch über die familiären Hintergründe der indischen Malerin hatte man sich bei der "Münchner Illustrierten Presse" offenbar nicht so genau erkundigt.

Sehnsucht nach Europa
Sher-Gil war noch ein Kind, als die Familie 1921 von Budapest nach Indien übersiedelte. Acht Jahre später war man, angeblich auch der Tochter zuliebe, wieder zurück nach Europa gegangen.

Früh erkannten die Eltern das malerische Talent des Kindes. Im Alter von 16 Jahren begann Sher-Gil an der Ecole National des Beaux-Artes in Paris Malerei zu studieren, wo sie sich in relativ kurzer Zeit einen Namen machte.

Der lange Schatten Gauguins
Größtes Vorbild für Sher-Gil wurde Paul Gauguin, der ja mit seinen Südsee-Bildern wie ein Brückenbauer zwischen Asien und dem Abendland dasteht. Von Gauguin und den Fauvisten holt sie sich den Mut zur Farbe.

Davor zeigt sie aber an der Akademie Arbeiten, die ganz der strengen europäischen Maltradition geschuldet sind. In Paris bewegt sie sich, wie die "Süddeutsche Zeitung" schreibt, "wie der Fisch im Wasser, sie übt sich in der Libertinage wie sonst nur männliche Künstler".

Raus aus den "grauen Ateliers des Westens"
Stilistisch wird aber vor allem der Primitivismus zur Möglichkeit, die Maltradition der Heimat mit der europäischen Moderne zu amalgamieren. Den "grauen Ateliers des Westens" kehrt sie den Rücken und sucht nach dem "Licht und der Farbe des Ostens".

Mitte der 30er Jahre kehrt Sher-Gil nach Indien zurück und sucht im einfachen Leben ihrer Landsleute nach den Vorlagen ihrer farbig-primitivistischen Bilder. Vehement bekennt sie sich zu ihrer Heimat und deren Kunsttradition: "Ein Fresko in Ajanta ist mehr wert als die gesamte Renaissance."

Kurzes, intensives Schaffen
Ihre Schaffensperiode in Indien sollte eine kurze sein. Bereits 1941 stirbt Sher-Gil. Eine Version sagt, sie sei einer Syphilis-Erkrankung erlegen; die andere, sie sei an den Folgen einer Abtreibung gestorben.

In Indien wird Amrita Sher-Gil zum Idol. Sie steht für die Emanzipation der Frau ebenso wie für die Auflehnung gegen die Kultur des britischen Kolonialismus.

Das 140 Arbeiten umfassende Werk wird in Indien zum nationalen Kulturerbe erklärt und wandert zum größten Teil in die National Gallery of Modern Art in Neu-Delhi.

50 Leihgaben aus Delhi
Aus der National Gallery of Modern Art wurden für die Ausstellung im Münchner Haus der Kunst gut 50 Exponate ausgeliehen. Ergänzt wird die Schau durch die zahlreichen Fotografien und Aufzeichnungen von Amrita Sher-Gils Vater. Von ihrem Neffen wiederum sind Collagen zu sehen, die ebenfalls auf historischem Fotomaterial zu Amrita Sher-Gil aufbauen.

Die Ausstellung
"Amrita Sher-Gil. Eine indische Künstlerfamilie im 20. Jahrhundert", bis 7. Jänner 2007, Haus der Kunst, München.

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