Die rechtskonservative Oppositionsparteien FIDESZ-Ungarischer Bürgerverband und die Christdemokraten (KDNP) haben am Montag den Rücktritt des Premiers gefordert. Gyurcsany sei eine "Persona non grata" der ungarischen Politik.
Seit Sonntag wird vor dem Parlament in Budapest demonstriert. Am Sonntagabend hatten sich mehrere hundert Menschen eingefunden. Am Montag skandierten rund 10.000 Demonstranten Rücktrittsaufforderungen. Auch an anderen Orten in Ungarn wurde protestiert.
Aufruf zu Generalstreik
Seit dem ungarischen Volksaufstand von 1956 bestehe nun erstmals die Möglichkeit der Offenbarung des "freien Willens", verkündeten die Redner der Aktion. Sie riefen die Demonstranten dazu auf, ihre Verwandten und Bekannten per Telefon aufzufordern, am Dienstag nicht zur Arbeit zu gehen, da nur ein Generalstreik den Rücktritt von Gyurcsany erzwingen könne.
Tränengas gegen Demonstranten
Am Abend ging die Budapester Polizei schließlich sogar mit Tränengasgranaten gegen Demonstranten vor, die das Gebäude des ungarischen öffentlich-rechtlichen Fernsehens (MTV) stürmen wollten.
Wie die Ungarische Nachrichtenagentur MTI berichtete, wollten die Demonstranten ihre Forderung nach Rücktritt des Premiers live im TV verkünden.
Präsident: "Einschätzungen vermischt"
Auch der ungarische Staatspräsident Laszlo Solyom kritisierte Gyurcsany am Montag, da er eine "moralische Krise" in Ungarn ausgelöst habe. Gyurcsany habe seine persönliche Verantwortung mit der Einschätzung der Politik der vergangenen 16 Jahre "vermischt" und damit die Krise noch verschärft. Er müsse sich bei der Gesellschaft entschuldigen.
Die rechtsextreme, nicht im Parlament vertretene ungarische Partei Jobbik (Für ein besseres Ungarn) rief unterdessen in einem Video zum "Sturz der Regierung" auf.
Kassette dem Rundfunk zugespielt
Die Worte des Premiers entstammen einer Kassette, die dem öffentlich-rechtlichen ungarischen Sender MR zugespielt wurde. Über den "Zusteller" schweigt der Leiter der aktuellen Nachrichtenredaktion des MR, Andras Szankoczy. Er habe sich von der Authentizität der Kassette überzeugt und deren Text dann sofort veröffentlicht.
Die Aufnahme entstand demnach am 26. Mai auf einer Sitzung der regierenden Sozialisten (MSZP) in Balatonöszöd. Hier erklärte Gyurcsany: Es gebe nicht viele Möglichkeiten, "weil wir es verschissen haben, sogar sehr".
In Europa gebe es kein Land, das so dumm gehandelt habe wie Ungarn. Es sei völlig offensichtlich gewesen, dass das, "was wir sagten, nicht wahr war".
"Keine Maßnahme, auf die wir stolz sind"
"Wir sind weit über die Möglichkeiten des Landes hinausgegangen", wird der Premier zitiert. Er könne keine bedeutende Regierungsmaßnahme nennen, "auf die wir stolz sein könnten, außer dass wir die Regierung am Ende aus dem Dreck zurückholten".
Gyurcsany erklärte im Fernsehen: Die Feststellung der Lüge habe sich nicht auf den wirtschaftlichen Zustand des Landes bezogen, sondern er habe über die Lügen vieler Jahre gesprochen, darüber, dass das Land "westlich" werden wolle, während es die heimischen Normen nicht akzeptieren wolle. Er denke nicht an einen Rücktritt, so der Premier.
"Es ist nicht zu bedauern"
Ildiko Lendvai, Fraktionsvorsitzende der MSZP, erklärte: Gyurcsany habe sich mit der "langjährigen gemeinsamen selbsttäuschenden Lüge der ungarischen Politik konfrontiert, damit, dass grundlegende Reformen und Veränderungen umgangen werden können. Es ist nicht zu bedauern, dass diese Tonaufnahme in die Öffentlichkeit gelangt ist, da sie zur Klärung dessen beiträgt, warum nicht erst nach den Kommunalwahlen die Sparmaßnahmen eingeführt werden."
Lendvai erinnerte daran, dass der Ministerpräsident am Ende einer leidenschaftlichen Fraktionsdebatte selbstkritisch und mit dramatischen Formulierungen auf jene Fragen geantwortet habe, die sich mit der Verschiebung der Sparmaßnahmen beschäftigten.
Liberale bleiben bei der Stange
Gabor Kuncze, Vorsitzender der liberalen Koalitionspartners Bund Freier Demokraten (SZDSZ), erklärte im Privatfernsehsender TV2, die Koalition sei durch die Äußerungen des Premiers nicht in Gefahr.
Erst Ende Mai dieses Jahres war in Ungarn eine Koalition aus Sozialisten und Liberalen gebildet worden.
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