"Ich habe ihn zum Feiern genötigt"

Natascha Kampusch über ihr Leben mit Priklopil und die spektakuläre Flucht.
Natascha Kampusch hat zwei Wochen nach ihrer Flucht aus ihrer Gefangenschaft in Strasshof am Mittwochabend in einem ORF-Interview zu ihren Erlebnissen Stellung genommen.

Die 18-Jährige sprach in einem "Thema spezial" mit Christoph Feurstein über ihre Gefangenschaft und ihre Beziehung zu ihrem Entführer Wolfgang Priklopil. So habe sie mit ihm Weihnachten und Geburtstage gefeiert.

"Kleine Aufmerksamkeiten"
©Bild: ORF
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Zu diesen Gelegenheiten habe sie von ihrem Entführer sogar kleine Aufmerksamkeiten bekommen, berichtete die 18-Jährige, die über das gesamte 40-minütige Gespräch hinweg sehr gefasst wirkte und sich gewählt artikulierte.

Das Entführungsopfer zeigte sich vor der Kamera in violetter Bluse mit dazu passendem Haartuch, Jeans und Modeschmuck.

"Eine gewisse Entschädigung"
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"Er hat mir viele Sachen geschenkt. Ostereier oder Weihnachtsgeschenke und so." Sie habe dahinter ein schlechtes Gewissen vermutet: Priklopil "war offenbar der Meinung, dass er mir wenigstens in dieser Art eine gewisse Entschädigung oder Gleichberechtigung mit den anderen Menschen draußen in der normalen Realität gibt".

Gefeiert habe man gemeinsam. "Ich hab' ihn dazu genötigt", so Kampusch.

Mit Fäusten an die Wände getrommelt
©Bild: ORF
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Als sie das erste Mal in den kleinen Raum unter der Garage Priklopils gesperrt wurde, reagierte sie sehr heftig, erzählte Natascha Kampusch: "Ich schlug mit Mineralwasserflaschen an die Wände oder mit den Fäusten."

In dem Verlies habe sie einen Ventilator gehört, dessen Geräusch sie nicht mehr ertragen konnte. Am Anfang habe sie "beinahe klaustrophobische Zustände" gehabt.

Flucht immer wieder angekündigt
©Bild: ORF
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Vor ihrer Flucht am 23. August habe sie Priklopil aber immer wieder angekündigt, dass sie sich aus seiner Gewalt befreien werde: "Ich hab' ihm in den Monaten davor auch schon gesagt: Ich kann so nicht mehr leben. Ich werde sicherlich versuchen, von Dir zu fliehen."

Als er sich mit dem Handy von ihr entfernte, während sie gerade sein Auto saugte, sah sie ihre Chance gekommen: "Ich wusste in dem Moment, wenn nicht jetzt, dann vielleicht nie mehr wieder. Ich hab' geschaut. Er hat sich umgedreht. (...) Ja, ich dachte mir: Wenn nicht jetzt ..."

"Verantwortung durch Berühmtheit"
Ihre Berühmtheit nach ihrer erfolgreichen Flucht empfindet Natascha Kampusch als Belastung: "Aber auf der anderen Seite ist mir dadurch klar geworden, dass ich durch diese Berühmtheit (...), dass ich dadurch eine gewisse Verantwortung habe und die auch nützen möchte."

Unter anderem möchte sie sich für verschleppte und misshandelte Frauen in Mexiko und hungernde Kinder einsetzen.

Erste Freundschaften geschlossen
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Die Zeit in Freiheit hat sie auch schon für Ausflüge genutzt, erzählte sie: So war sie etwa inkognito bei einem Eissalon in der Währinger Straße Eis essen. "Ich hatte eine Sonnenbrille auf, ein Kopftuch um. Da hat man mich nicht erkannt."

Sie habe auch schon "auf der Station", auf der sie untergebracht ist, Freundschaften außerhalb des Betreuerteams geschlossen.

"Vielleicht ein Buch"
Vermeiden will Kampusch, dass jemand ein Buch über sie schreibt, wie sie im ORF-Interview sagte: "Ich möchte auf keinen Fall, dass irgendwer anders sich als Experte über mein Leben ausgibt." Vielleicht "oder auch nicht" werde sie selbst ein Buch über sich schreiben - mehr dazu in "Das Interview im Wortlaut".

Spendenkonto für Kampusch
Der ORF hat ein Spendenkonto für Natascha Kampusch eingerichtet. Der Gesamterlös dieser Spendenaktion kommt zur Gänze Frau Kampusch zugute und steht zu ihrer freien Verfügung:

BA-CA (BLZ 12.000)
Kontonummer: 50.000.010.001
Kennwort: Natascha Kampusch Foundation

Mutter: "Ich bin stolz auf sie"
Die Mutter von Kampusch, Brigitta Sirny, war nach dem Interview beeindruckt von ihrer Tochter. "Ich bin sehr stolz auf sie, dass sie die Flucht geschafft hat und so stark ist", so die Mutter - mehr dazu in wien.ORF.at.

Über 2,7 Mio. Zuseher verfolgten das Interview in ORF2.

Moderiertes Forum zum Fall Kampusch
Entsetzen, Fassungslosigkeit und Freude - selten sind so unterschiedliche Gefühle so nah beieinander gelegen wie im Fall von Natascha Kampusch. Hier können Sie sagen, was Sie denken - mehr dazu in wien.ORF.at.

Chronologie des Falls Kampusch
Am 23. August gelang Natascha Kampusch nach acht Jahren Gefangenschaft die Flucht. Seither steht sie im Fokus des internationalen Medieninteresses - mehr dazu in wien.ORF.at